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Letze Hilfe #35

Letzte Hilfe – Zuwendung am Ende des Lebens – Von Christoph Winter

Der Herbst. Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Die Natur bäumt sich bunt und schillernd noch einmal auf, bevor sie für ein paar Monate ihr Kleid abwirft. Eine Metapher für das Leben und das Sterben. So fallen in den Herbst auch die Feiertage, die den Tod zum Thema haben. Tage, an denen man trauert, der verstorbenen Verwandten, Freunde, Kollegen gedenkt. In Schmerz, Dankbarkeit, stiller Einkehr. Tage, die den Blick auf das Sterben lenken und auf das, was am Ende aller Tage wirklich wichtig ist.

Der letzte Erste-Hilfe-Kurs ist für viele Menschen der erste Erste-Hilfe-Kurs gewesen. In der Regel wurden die Handgriffe für eine stabile Seitenlage oder für das Anlegen eines Druckverbandes vor der Führerscheinprüfung geübt. Mit den Jahren sind die Kenntnisse der lebensrettenden Sofortmaßnahmen in Vergessenheit geraten. Der Anblick eines Unfallopfers macht hilflos. Zumal im Zeitalter des mobilen Telefonierens professionelle Hilfe sofort gerufen werden kann, so die weitverbreitete Ansicht.

Erste Hilfe wird als „Maßnahme zur Hilfe bei akuter Verletzung und Erkrankung mit dem primären Ziel, das Überleben der Betroffenen zu sichern“ definiert.

„Maßnahmen zur Hilfe bei lebensbedrohlichen Erkrankungen mit dem primären Ziel der Linderung von Leiden und der Erhaltung von Lebensqualität“ beschreibt dagegen prägnant einen Letzte-Hilfe-Kurs.

Am Ende des Lebens einander beizustehen, entspringt also der gleichen humanen Haltung wie anderen Menschen bei Krankheit und Verletzungen zu helfen.

Einen Kurs in Letzter Hilfe hat der Hospizverein Coburg jüngst veranstaltet. Früher vorhandenes, meist selbstverständliches Wissen zur Sterbebegleitung ist verloren gegangen. „Beim Thema ‚Tod‘, ‚Lebensende‘ und ‚Sterben‘ sind wir Menschen Verdrängungskünstler“, wissen Annette Hofbauer und Barbara Brüning-Wolter vom Hospizverein Coburg aus ihrer Tätigkeit. „Wir haben heute für den Trauernden keine gute Trauerkultur mehr“, sagt Martina Walz. Sie ist Trauertherapeutin und hält seit vielen Jahren auch Reden bei Trauerfeiern. Ein guter Abschied von einem Verstorbenen sei wichtig für die Hinterbliebenen.

Ein gutes Dutzend Menschen hat den ersten Letzte- Hilfe-Kurs des Hospizvereins Coburg besucht. Vier Unterrichtsstunden stehen jeweils für eines der vier Module: „Sterben ist ein Teil des Lebens“, „Vorsorgen und Entscheiden“, „Leiden lindern“ und „Abschied nehmen vom Leben“. Aber einen allgemein gültigen Kurs mit stets zutreffenden Antworten, der alle Fragen und Aspekte zweifelsfrei erklärt, gibt es nicht. „Jeder Mensch, jeder Angehörige empfindet den Tod anders“, stellt Barbara Brüning-Wolter fest. Auch weil die Ursachen so unterschiedlich sind, die dem Leben ein Ende setzen. „Haben wir alles richtig gemacht, haben wir nichts unversucht gelassen?“ fragen sich die Angehörigen oft, wenn eine Krankheit dem Todesfall vorausgegangen ist, so Annette Hofbauer. Noch mehr und drängendere Fragen würden sich nach einer Selbsttötung aufwerfen.

Mehr als 900.000 Menschen sind im vergangenen Jahr in Deutschland gestorben. Statistisch gesehen scheiden etwa zwei Prozent aus dem Leben, indem sie friedlich für immer einschlafen. Dabei wünschen sich so einen friedlichen Tod wohl die allermeisten. Sehr viel mehr sterben durch Unfälle und die meisten an Krankheiten. Allein deshalb müssen sich fast alle Menschen irgendwann mit dem manchmal quälenden Prozess des Sterbens und Abschiednehmens beschäftigen. Sei es, weil ein naher Angehöriger schwer krank wird oder ein guter Freund im Sterben liegt.

Schwerkranken oder sterbenden Menschen kann auch ohne Medikamente und medizinisches Wissen geholfen werden. Das kann einfach nur Zuhören sein, wenn ein schwerkranker Mensch noch gut ansprechbar ist. Dasein und Zuhören – vielen nimmt es einen Teil ihrer Last, wenn sie jemanden zum Reden haben. Viele Schwerkranke empfinden auch eine friedliche Umgebung als angenehm. Manch einer mag es, wenn der Raum abgedunkelt wird, andere entspannen sich bei ruhiger Musik oder Meditation.

Angenehme Düfte können beruhigen. Eine sanfte Berührung, das Festhalten an der Schulter signalisieren Nähe und füreinander da zu sein. Bewegt sich jemand nur noch schwer von allein, kann es Linderung verschaffen, wenn man ihn in seinem Bett anders lagert. Es sind Kleinigkeiten, die darüber entscheiden können, wie wohl sich jemand fühlt, der an seinem Lebensende angekommen ist.

„Für die Angehörigen ist ein guter Abschied wichtig“, weiß Martina Walz. Die Trauerrednerin und -therapeutin erfährt in ihrer Praxis oft, dass die Menschen unsicher sind angesichts des Ablebens eines Angehörigen oder Bekannten. Nach dem Tod eines nahen Menschen geht jeder Trauernde durch bestimmte Trauerphasen, aber sie sind natürlich individuell in ihrer Dauer und werden auch unterschiedlich wahrgenommen. Trauerphasen dauerten für jeden Menschen unterschiedlich lange. „Die Zeit zwischen dem Tod und der Trauerfeier ist sehr wichtig. Aber diese Tage, die eine Ausnahmesituation darstellen, sind meist vollgepackt mit vielen organisatorischen Dingen.“ In der Trauerrede müsse der Verstorbene wiedererkannt werden können und die Familie sich sicher sein, „dem Toten hätte die Feier gefallen“. Martina Walz: „Es kann z.B durchaus Musik gespielt werden, die vordergründig nicht diesem speziellen Anlass angemessen scheint. Das kann auch mal ein wildes, fröhliches Lied sein, das der Verstorbene gerne hörte.“

Die Kunst einer guten Trauerrede sei es, „niemanden bloß zu stellen und trotzdem bei der Wahrheit zu bleiben“. Die Angehörigen müssten sich in dem Text gesehen fühlen, besonders wenn es negative Dinge oder schlechte Charakterzüge des Verstorbenen betrifft.

Zuwendung ist, was wir alle am Ende des Lebens brauchen.


Es sind Kleinigkeiten, die darüber entscheiden können, wie wohl sich jemand fühlt, der an seinem Lebensende angekommen ist.


Bestattet in völliger Anonymität

„Bestattungen von Amtswegen“ gibt es immer wieder. Nicht nur in der Anonymität der Großstadt. „Etwa 20-mal im Jahr veranlasst das Standesamt, dass ein Leichnam vom Friedhofsamt bestattet wird“, sagt Tobias Debudey, Abteilungsleiter des Coburger Friedhofs- und Bestattungswesens. In diesem Jahr waren es 13 solcher Fälle. Angehörige sind verpflichtet, die Bestattung eines Verstorbenen zu organisieren. Gibt es niemanden, so ordnet das Standesamt die Bestattung an. Das hat seine Ursachen im Bestattungsgesetz, wonach eine Sarg- oder Feuerbestattung maximal 96 Stunden nach Eintritt des Todes erfolgen muss. „Alleinlebende Menschen treffen oft Vorsorgen und Festlegungen, wie ihre Bestattung geregelt werden soll“, weiß Debudey. Oft werde Geld für die Auslagen bereitgelegt und schriftlich erklärt, ob es eine Sarg- oder Urnenbestattung geben soll. Wenn nichts dergleichen verfügt wurde, wählt die Friedhofsverwaltung die kostengünstigere Feuerbestattung. Bis zur Beisetzung vergehen dann drei bis vier Monate, „um vielleicht doch noch Angehörige zu finden, die möglicherweise ein Grab für den Verstorbenen haben möchten, oder auch um die Kosten zu übernehmen“. Findet sich niemand, wird die Urne auf dem Friedhof in aller Stille beigesetzt. „Das geschieht dann früh am Morgen, wenn wenig Besucher auf dem Friedhof sind. Es gibt keine Trauerfeier oder -rede und ein Geistlicher ist nicht anwesend. Die Stelle wird auch nicht gekennzeichnet.“


Letzte-Hilfe-Kurse

Entwickelt wurden die Letzte-Hilfe-Kurse vor vier Jahren von Georg Bollig, einem Palliativmediziner und Notarzt aus Schleswig. Henry Dunant, Gründer der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung gab Bollig den Anstoß für die Letzten-Hilfe-Kurse. Im Sardinischen Krieg stand Dunant auf dem Schlachtfeld von Solferino am 24. Juni 1859 den schwerverwundeten Soldaten des Kaisertums Österreich und des Kaisertums Sardinien zur Seite, die gegeneinander kämpften. Einige sollen Dunant regelrecht angefleht haben, bei ihnen zu bleiben, damit sie nicht alleine sterben müssen. „Auf diese Weise hat Dunant zugleich eine Art Erste Hilfe und Letzte Hilfe geleistet“, erzählt Georg Bollig. Der erste Kurs fand Anfang 2015 in Schleswig statt, mittlerweile gibt es die Kurse im ganzen Bundesgebiet.

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