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Wie geht´s uns denn? #33

Sonderthema Gesundheit – Wie geht´s uns denn?

Fragt man zwei Menschen nach ihrer Definition von Gesundheit, bekommt man mindestens drei Antworten serviert, als Beilage noch allerlei Diätpläne sowie Rezepte für biologisch angebaute Salate und noch mehr Ballaststoffe, die wiederum garniert werden mit Genussmittelverboten und Askese-Übungen, Vorsorgeuntersuchungen und schweißtreibenden Ausdauersportprogrammen. Als Nachtisch gibt’s noch die Empfehlung zum Besuch eines Lach-Yoga-Kurses, nicht zu vergessen der längst überfällige Jobwechsel, weil es ja vor allem auf die Work-Life-Balance ankäme, wie man so hört. Gesundheit bedeutet also auch Stress. Oder mit den Worten des amerikanischen Schriftstellers Mark Twain zugespitzt: „Gesund kann man nur bleiben, wenn man isst und trinkt, was man nicht mag, und tut, wozu man keine Lust hat.“

von Tomo Pavlovic

Das Wörtchen „gesund“ ist verkaufsfördernd

Der eigene Hausarzt wiederum, der es als Experte eigentlich am besten wissen sollte, winkt ab, findet, dass Mark Twain gar nicht so unrecht hat, man jedenfalls zu viel Stress vermeiden sollte. Dann fasst er sich nach dem Routinecheck äußerst kurz: „Ihnen fehlt nichts. Man ist gesund, wenn man sich wohlfühlt.“ Klingt einleuchtend. Tatsächlich scheint das eigene Wohlbefinden, ja das persönliche Glück ein wichtiger Indikator für die Gesundheit zu sein, zumindest wird das alltäglich medial vermittelt. Das Adjektiv „gesund“ ist verkaufsfördernd und wird deshalb inflationär gebraucht. Freude oder Glück sind Gefühle, welche aus einem Zusammenspiel mehrerer Hirnregionen durch körpereigene Botenstoffe entstehen. Serotonin und Dopamin zum Beispiel. Man weiß, dass ein Mangel an Serotonin depressive Stimmungen hervorrufen kann oder die Heilungschancen nach Verletzungen senkt. Im Umkehrschluss bedeutet es aber nicht zwangsläufig, dass ein von Glückshormonen gefluteter, durchtrainierter und bewusst ernährter Körper eines finanziell sorgenfreien Westeuropäers mit guten Genen und stabilem sozialen Umfeld nicht demnächst an Bauchspeicheldrüsenkrebs schwer erkrankt.

Asymptomatische Krankheit

So betrachtet wäre jegliche Gesundheit bloß eine vorläufige Zustandsbeschreibung. Der Gesunde ist einer, der noch nicht erkrankt ist. Und was, wenn der eigene Arzt aus Zeitmangel oder auf Grund von fehlendem Fachwissen nur noch nichts entdeckt hat, die schreckliche Krankheit zwischen all den Laborwerten und Diagrammen lediglich übersehen hat? Schließlich sind Krankheiten bekannt, bei denen man sich nicht zwingend schlecht fühlen muss. Im somatischen, also körperlichen Bereich betrifft das alle asymptomatischen Krankheiten. Manch eine Infektion verläuft unbemerkt, ohne Fieber, ohne Schmerzen. Wer einen Gallenstein mit sich spazieren trägt, der (noch) keine Koliken verursacht, ist streng genommen krank, weiß es aber nicht und fühlt sich pudelwohl. Selbst Menschen mit einer bipolaren Störung können gut drauf sein. Gesund leben und sich glücklich fühlen heißt noch lange nicht, dass man auch gesund ist. Außerdem haben die meisten Bewohner der westlichen Industrienationen ein Ideal vor Augen, dass in erheblichem Maße der Definition von Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entspricht: „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.“ Dieses Leitbild wurde 1946 erstmals veröffentlicht, als die halbe Welt in Trümmern lag. Dieser Leitsatz beschreibt nicht weniger als eine politische Vision, weshalb er auch von vielen Medizinethikern und Philosophen scharf kritisiert worden ist. Gesundheit soll nach dem Willen der (WHO) mehr sein als nur die Abwesenheit von Krankheit. Schön wär’s.

Pathologisierung der Gesellschaft

Der Medizinphilosoph Thomas Schramme von der Universität Liverpool plädiert seit Jahren für ein offeneres Verständnis von Krankheit und Gesundheit. „Die Aussage der WHO als philosophische Definition des Begriffs der Gesundheit ist sicherlich ungeeignet“, sagt Thomas Schramme. „Gesundheit stellt ein graduierbares Phänomen dar. Menschen können gesünder sein, sie können kränker sein, und wir sprechen entsprechend von schweren Krankheiten im Unterschied zu weniger schweren Krankheiten.“ Tatsächlich solle man jede Unterschreitung des WHO-Ideals nicht als Krankheit verstehen, ansonsten würde man die Gesellschaft pathologisieren. „Wir müssen alle diese Facetten der Begriffe im Auge behalten“, fordert Thomas Schramme. „Da wäre etwa Krankheit als Dysfunktion; Krankheit als Einschränkung des Wohls; Gesundheit als Abwesenheit von Dysfunktion sowie Gesundheit als Ideal.“ Letzteres ist vermutlich nur äußerst selten anzutreffen.

Kreativer Umgang mit Gebrechen

Thomas Schramme empfiehlt, neben der wissenschaftlichen Perspektive auch die „lebensweltliche“ Sicht zu berücksichtigen. „Das individuelle Glück ist ein wichtiger Einflussfaktor bei der Gesundheit. Wer das Essen genießt, mag nicht der empfohlenen Körpernorm entsprechen, aber weniger anfällig für depressive Verstimmungen sein.“ Aus medizinischer Sicht mag ein übergewichtiger Glückspilz ein recht kranker Patient zu sein. Für den Philosophen kann er aber noch ziemlich gesund sein. Manchmal kommt es auch darauf an, wie man mit seinen körperlichen Einschränkungen und seelischen Problemen vor allem im Alter umgeht. Vielleicht ist die Definition des Medizinethikers und Philosophen Giovanni Maio von der Universität Freiburg hilfreich: „Denn gesund ist nicht, wer keine Beeinträchtigung hat, sondern wer einen kreativen Umgang mit seiner Begrenztheit und seiner grundsätzlichen Versehrbarkeit gefunden hat.“

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