Ein Stück vom Ketschendorfer Schloss
Geradezu genial ist die Idee, sich aus den Steinen eines ehemaligen Schlosses eine Villa mit dann adliger Vergangenheit zu bauen. Auf diese Weise konnten auch normalsterbliche Bürger ein bisschen Glanz und Gloria für ihre Wohnräume abbekommen. Alteingesessene Coburger nennen die aus adligen Steinen neu aufgebaute Villa in der Oberen Klinge 3 deshalb bis heute „Altes Ketschendorfer Schloss“.
Obwohl – so ein richtiges Schloss war es damals gar nicht, als es 1805 vollendet wurde. Eher ein gemütliches Landhaus. Die Herzogsfamilie soll sich gerne darin aufgehalten haben. Mitten in der Natur, am Fuße des Buchbergs vor den Toren der Stadt, weit weg von allen Hofzeremoniellen. Hier konnte im weitläufigen Park gelustwandelt werden. Die Herzogsfamilie genoss die Aussicht ins Grüne und brachte dem ländlich geprägten Dörfchen außerhalb der bewehrten Stadtmauern der Residenzstadt ein klein wenig fürstlichen Glanz.
Herzogin Marie, die bis zuletzt in der Landvilla lebte, starb im September 1860. Dass das Schloss acht Jahre später in den Besitz einer damals weltweit bekannten französischen Opernsängerin überging, dürfte einige Verwunderung in Coburg ausgelöst haben. Galt das Anwesen doch allen herzöglichen Ehefrauen als geliebter Rückzugsort. Delikate Randerscheinung: Herzog Ernst II. hatte ein uneheliches Kind mit der Käuferin und erhob sie 1868 sogar in den Adelsstand. Als Baronin von Ketschendorf genügte der Opernsängerin das Gebäude jedoch nicht. Repräsentativeres musste her. Sie beauftragte den Coburger Baurat Georg Konrad Rotbart mit der Renovierung. So weit kam es aber gar nicht – kurzerhand entwarf der Architekt ein größeres, steinernes Schloss neben dem bestehenden und schon nach einem Jahr Bauzeit war das neue Schloss in Ketschendorf bezugsfertig.
Das alte Schloss wurde abgerissen und Teile des Abbruchmaterials zum Bau einer Villa in der Innenstadt verwendet. Die zeitliche Nähe des Bauantrags einer gewissen Sophie Eck zum Bau eines Wohnhauses in der Oberen Klinge und die Genehmigung zum Abriss des Schlosses lassen die Vermutung zu, dass Teile dieses Gebäudes eine neue Heimat am Fuße des Festungsberges gefunden haben. Auch die Ähnlichkeit der beiden Villen fällt sofort ins Auge. Nicht nur der symmetrische Aufbau, sondern auch die im Original erhaltenen Altane, die den heutigen Balkon stützen. Und nicht zuletzt die geschwungene Auffahrt und die effektvolle nächtliche Beleuchtung unterstützen die repräsentative Ansicht der Stadtvila. Ein guter Ort also für die alten Steine. Mitten im Grünen, zwischen hohen Bäumen und geschwungenen Wegen. Fast so wie damals in Ketschendorf.
Text von Heidi Schulz-Scheidt
Fotos: Val Thoermer