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Ich wollte immer schreiben #34

Ich wollte immer schreiben

Der Neu-Coburger Autor Christian Seltmann im Portrait – von Wolfram Hegen, Fotos von Val Thoermer

Am Anfang hätten ihn alle gewarnt vor Coburg, da sei ja nicht viel los, so Autor Christian Seltmann, Geburts-Lüdenscheider, Langzeit-Berliner, seit etwa zwei Jahren Neu-Coburger, noch keine lange Zeit, genug aber, um Coburg – trotz aller Warnungen – liebgeworden zu haben, der erste Eindruck beim Treffen zum Interview mag symbolisch dafür sein, wie er da sitzt im Cafe Feiler am Theaterplatz, wie im eigenen Wohnzimmer, als ob er nie woanders gesessen hätte, er schreibt ja dort auch oft an seinen Kinderbüchern, und als während unseres Gesprächs auch noch seine Tochter aus der Schule kommt und sich zu uns gesellt, weiß man: Seltmann ist angekommen.

Sein Lebenslauf nämlich hatte bis dahin nicht viele Konstanten, außer vielleicht die zwanzig Jahre in Berlin, eine lange Zeit, und außer vielleicht, nein nicht vielleicht, ganz sicher vielmehr, die Liebe zum Schreiben. Die nämlich hat er schon als Kind, „ich wollte immer schreiben“, er hat Spaß an Sprache, am Erfinden von Geschichten, am Erzählen. Bis aus dieser jugendlichen Leidenschaft aber ein Beruf wird, von dem er heute gut leben, seine vierköpfige Familie ernähren kann, dauert es ein paar Jahrzehnte. „Wenn man das arbeitet, was einem Freude macht, wofür man Leidenschaft hat, wird man irgendwann seinen Platz finden, sein Auskommen auch“, sagt er heute rückblickend, wissend, dass der Weg bis dorthin nicht immer einfach war.

Er studiert Geschichte, Germanistik und Philosophie in Bochum. „Eigentlich war das Studium Quatsch“, sagt er, „weil man schreiben nicht lernen kann.“ Das Leben aber lernt er kennen: Er fährt Krankenwagen, liefert Matratzen aus, arbeitet als Fremdenführer. „Das sind schon wichtige Erfahrungen, sonst hat man ja auch nix zu erzählen.“ Angst hat er auf jeden Fall nicht vor der Zukunft, immer gehen Türen auf: Radiomoderator, Dramaturg, Lektor, TV-Redakteur. Bei einer Zeichentrickfirma arbeitet er als Entwicklungsleiter. „Da war ich mittendrin im Medientrubel.“ Doch Anfang der 2000-er Jahre steigt er aus, wird freier Drehbuch-Autor fürs Kinderfernsehen.

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Während der ganzen Jahre schreibt er, „Stapel voll unveröffentlichter Werke“, und wünscht sich, dass eine vielleicht doch noch bald verlegt wird: Sie handelt von seinem Großvater und ihm. Der Opa arbeitet als Hausmeister in einer Schule, der kleine Christian hält sich nachmittags oft dort auf. In seiner Geschichte „Der Nachmittagskönig“ erzählt er diese Story über die Kriegserfahrungen seines Großvaters, die immer wieder in die nachmittägliche Idylle einbrechen, „ein bisschen experimentell ist die Geschichte“, die er jetzt ein wenig umgeschrieben hat und einen neuen Anlauf wagt bei einem kleinen Verlag.

Das hat er immer getan, seine Geschichten anbieten, an Verlage schicken, immer den Traumberuf Buchautor vor Augen. „Und irgendwann hat das dann geklappt.“ Da ist er schon 40 und „ich habe mir schon die Frage gestellt, ob das noch funktioniert.“ Das Kinderfernsehen ist damals in der Krise, das Schreiben für Kinder aber liegt ihm und so schreibt er seitdem vor allem Bücher für Kinder, die gerade lesen lernen, für Fünf- bis Zehnjährige, „das zwingt einen zur Genauigkeit, zu kurzen Sätzen.“ Viele Erstlesebücher entstehen, von „Mira, Oskar und die Buchstaben-Magie“ bis zu „Kleiner Ritter, Kurz von Knapp“, Vorlesebücher, Kinderromane. An zwei bis drei Kinderbüchern arbeitet er parallel, dazu an einer Dystopie, einem Jugendroman, wie Kinder sich in Insekten verwandeln, „das ist schon eine Gratwanderung“, sagt er.

Hilfe sind ihm dabei seine Kinder, seine neunjährige Tochter Lotte ist sein schärfster Kritiker, mit dem fünfjährigen Sohn macht er Ideentests, ob Witze funktionieren, ob Inhalte rüberkommen. Auch an der Grundschule seiner Tochter arbeitet er mit Kindern, bezieht diese mit ein in seine Tätigkeit, beide Seiten profitieren davon. „Das ist schon eine tolle Sache, da haben wir ein ganz enges Verhältnis aufgebaut.“

Vielleicht ist er auch deswegen so schnell angekommen in Coburg, der Langzeit-Berliner, der sich auf einer Lesereise bei der Buchhandlung Riemann im Jahr 2016 in Coburg verguckt hat. Seine Frau und er hatten ohnehin mit einem Ortswechsel nach Franken geliebäugelt. Bei 60 bis 80 Lesereisen im Jahr ist man mittendrin in Deutschland, sein Verlag ist im nahen Würzburg, auch die unterfränkische Metropole wäre daher als Lebensmittelpunkt in Frage gekommen. Es wird aber Coburg. „Das ist doch eine tolle Stadt“, schwärmt er über das kulturelle Angebot, das im Vergleich zu anderen Städten dieser Größe einmalig sei, über die luxuriöse Arbeitsplatzsituation („am Anfang habe ich immer die aktuellen Arbeitslosenzahlen nach Berlin geschickt“), über die Vielfalt („durch die vielen Unternehmen hier vor Ort sind so viele Menschen aus der ganzen Welt in Coburg, das ist alles andere als provinziell“), über die Kinderbetreuungs- und schulischen Einrichtungen („dass hier Kinder mit Sammeltaxis zur Schule gefahren werden können, glaubt mir in Berlin auch keiner“), die Freizeiteinrichtungen („glaubt mir auch keiner, dass es hier ein beheiztes Wellenbad gibt – draußen“) und auch die fränkische Küche hat es ihm angetan. „Currywurst war eh noch nie so meins.“ Selbst für seinen Beruf, das Schreiben, ist Coburg ein guter Standort. „Berlin ist so eine spezielle Stadt, die hat mit dem Alltag der meisten Menschen im Land nicht viel zu tun.“

Momentan also „taugt es mir in Coburg“, taugt ihm sein Leben, das wohl konstant ist wie selten zuvor. „Mir ist nicht bange vor der Zukunft, es gibt meiner Meinung nach keine Buch- oder Lesekrise. Gelesen wird immer. Bücher sind etwas Einzigartiges, dieses Hineingucken in den Kopf von jemandem, den ich nicht kenne.“


Christian Seltmann, geboren am 21. Juni 1968 in Lüdenscheid. Kinderbuchautor. Seit 2017 mit Familie wohnhaft in Coburg. Seine Bücher sind erschienen im Arena-Verlag Würzburg. Mehr zu seiner Person, seinen Büchern und seinem Workshop-Angebot unter www.christian-seltmann.net.

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