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Das lange Warten #37

Das lange Warten

von Gabi Arnold

Der Anruf kommt nachts um zwei Uhr am Apparat eine Oberärztin der Uniklinik Erlangen. Sie überbringt die lang ersehnte Nachricht. Michael Klett kann transplantiert werden. Sieben Jahre lang hat der Coburger auf eine Spenderniere gewartet. Sieben Jahre lang muss er dreimal in der Woche zur Blutwäsche, immer für vier Stunden. Sieben Jahre lang macht er keinen Urlaub, hält strengste Diät und ist in seiner Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt.

Kletts Krankheitsgeschichte beginnt im Jahr 1996. Plötzlich bemerkt der damals 32-jährige geschwollene Beine. Zunächst tippen die Ärzte auf einen Infekt und behandeln mit Antibiotika. Später stellt sich heraus: Klett leidet an einem nephrotischen Syndrom, einer Autoimmunerkrankung, bei der gesunde Organe vom eigenen Immunsystem bekämpft werden. „Damals habe ich nicht geahnt, dass das in der Dialyse enden wird“, sagt er. Zunächst wird er mit Tabletten behandelt, es folgt eine jahrelange Bauchfelldialyse, die Klett dreimal am Tag selber durchführt. Als beide Nieren komplett versagen, muss der Betriebswirt zur Dialyse; montags, mittwochs und freitags geht er von 19 bis 23 Uhr ins Klinikum zur Blutwäsche. Mit dem Beginn der Dialyse kommt er auf die Warteliste für ein Spenderorgan. Er wartet sieben Jahre. „Wenn man bedenkt, dass in Deutschland über 9000 Menschen auf ein Spenderorgan warten, dann ist das neue Gesetz umso trauriger“, sagt Klett nachdenklich.

Der Bundestag hat im Januar die sogenannte „Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei Organspende“ beschlossen. Das heißt, jeder Bürger ab 16 Jahre wird alle zwei Jahre an die Organspende erinnert. Die Krankenkassen schicken Informationsmaterial und einen Organspendeausweis. Angeregt hatte die Debatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Sein Gesetzentwurf sah vor, dass jeder nach seinem Tod automatisch Organspender wird, es sei denn, er hat zu Lebzeiten widersprochen.

Vertane Chance

Der transplantationsbeauftragte Arzt am REGIOMED Klinikum Coburg ist Dr. med. Torsten Müller. Er ist Facharzt für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Notfallmedizin und leitender Oberarzt im Bereich Anästhesie. „Mit dem neuen Gesetz wurde eine große Chance für ein klein wenig mehr Menschlichkeit vertan“, bedauert der Mediziner. Es sei die bequeme Lösung, die so schwach ausgefallen sei, dass sich die Frage stelle, ob sie überhaupt etwas bewirken könne. Die Widerspruchsregelung hätte, mit all ihren Schwächen, zumindest eine aktive Entscheidung verlangt, meint Dr. Müller. „Trotzdem hätte jeder frei entscheiden können, ob er oder sie nach dem Tod Organe spenden möchte“, sagt der Arzt. Aber in dem Fall Widerspruchregelung hätte man sich aktiv gegen etwas entscheiden müssen. „So bleibt alles beim Alten und viele schieben die Frage vor sich her, weil man damit natürlich auch auf unangenehme Weise an die eigene Endlichkeit erinnert wird,“ so Dr. Müller.

Pfarrer Detlev Juranek betreut die Kirchengemeinde Katharina von Bora – Coburg; er besitzt einen Organspendeausweis und steht „voll dahinter.“ Sein christlicher Glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben setze nicht voraus, dass er körperlich unversehrt begraben werden müsse, sagt der Geistliche. „Vielmehr finde ich den Gedanken tröstlich, dass meine Organe nach meinem Tod jemandem nützen, der dringlich darauf wartet“, sagt der Pfarrer und fügt hinzu: „Mit meinem Mann habe ich aber besprochen, dass er – sollte es zu schwer sein – einzelne Organe von der Spende ausnehmen kann.“

Die Entscheidung des Bundestages begrüßt Pfarrer Juranek. „Ich bin dankbar, dass sich der Bundestag so entschieden hat. So sehr ich den Bedarf von Spenderorganen und die Not derer sehe, die auf eine Transplantation warten: Ich bin der Meinung, eine Spende – sei es bekundet durch einen Spenderausweis oder durch die Entscheidung der Angehörigen – sollte freiwillig bleiben.“ Pfarrer Juranek versteht natürlich die Sicht derer, die oft lange Zeit und verzweifelt auf ein Spenderorgan warten. „Wer im Familien- oder Freundeskreis miterlebt habe, wie quälend die Wartezeit sein kann, versteht, dass es dringend notwendig ist, mehr Menschen zur Organspende zu bewegen“, sagt er. Deshalb sollte alles getan werden, damit sich Menschen für eine Organspende entscheiden, betont Pfarrer Juranek. „Vor allem ist dazu viel Aufklärungsarbeit notwendig und positive Beispiele, wie das von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der seiner schwerkranken Frau eine Niere gespendet hat.“

Auf der anderen Seite sieht Juranek auch die Familien derer, die für eine Organspende in Frage kommen. Und oft, meint Juranek, seien es eben jüngere Menschen, die durch einen Unfall aus dem Leben gerissen werden. „Die Familien brauchen Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten.“ Hinzu komme: Die Angehörigen würden zwar das Wort „hirntot“ hören, aber sie würden sehen, wie – durch Maschinen – ihr Angehöriger scheinbar „atmet“. „Wo der Kopf vielleicht schon ansatzweise versteht, braucht das Herz Zeit hinterher zu kommen.“ Die Würde des Menschen ende nicht mit dem Sterben, auch nicht mit dem Tod, sagt der Pfarrer.

Zum würdevollen Sterben gehöre, dass die Fragen und Bedenken der Angehörigen gehört und beantwortet werden, und dass ihnen die Zeit gegeben werde, eine Entscheidung zu treffen und auch ein „Nein“ akzeptiert werde. In seiner Zeit als Klinikseelsorger in den USA hat Juranek erlebt, dass eine Familie nach dem Suizid ihres 15-jährigen Sohnes mit der Frage nach der Organspende zunächst völlig überfordert gewesen sei. Durch die Geduld der Ärzte und dem Beistand des Seelsorgers hätten sie sich zunächst tastend und schließlich sehr beherzt dazu entschlossen, Organe zu spenden, damit der Tod ihres Sohnes „irgendeinen Sinn habe“, berichtet Pfarrer Juranek. „Vor der Organentnahme haben wir ein kleines Abschiedsritual gefeiert.“

Streng vorgegebener Algorithmus

Dr. Müller kann die Ängste gut nachvollziehen. „Eine oft geäußerte Befürchtung ist, dass dem Spender Organe entnommen werden, obwohl noch eine Chance auf ein Weiterleben bestünde“, sagt er. Dazu müsse man ganz klar festhalten, dass eine postmortale Organspende immer nach dem Tod des Patienten durchgeführt wird. Wie der Arzt erklärt, läuft das Verfahren nach einem streng vorgegebenen Algorithmus ab: Liegt ein Patient auf einer Intensivstation, von dem die Ärzte vermuten, dass seine Gehirnfunktionen unwiederbringlich erloschen sind, müssen zwei Fachärzte, die in der Versorgung von Patienten mit schweren Hirnschäden große Erfahrung haben, in mehreren Untersuchungsgängen den Ausfall aller Gehirnfunktionen nachweisen. Diese beiden Ärzte, von denen mindestens einer auch Neurologe oder Neurochirurg sein muss, dürfen mit der weiteren Organspende nichts mehr zu tun haben, um einem möglichen Interessenskonflikt aus dem Weg zu gehen. Ist der irreversible Hirnfunktionsausfall nach medizinisch- wissenschaftlichen Kriterien bewiesen, ist dieser Zeitpunkt auch der Zeitpunkt, zu dem der Patient verstorben ist. Die Körperfunktionen werden zu diesem Zeitpunkt alleine durch medizinische Geräte aufrechterhalten und durch Medikamente in der Balance gehalten. Hat sich der Patient zu Lebzeiten für eine Organspende entschieden, ist dies der Zeitpunkt, zu dem – nach einigen Voruntersuchungen – die Organe, die für eine Spende in Frage kommen, an Eurotransplant gemeldet werden. Eurotransplant wiederum versucht, möglichst passende Organempfänger in der Datenbank ausfindig zu machen, die entsprechenden Transplantationszentren zu erreichen und die Organe zu vermitteln. Ist für die Organe ein geeigneter Empfänger gefunden, erfolgt die eigentliche Organentnahmeoperation.

Diese Operation findet laut Dr. Müller in einer ruhigen und würdevollen Atmosphäre statt. „Jeder, der an einer solchen Operation schon einmal beteiligt war, wird bestätigen können, dass alle Anwesenden sich bewusst sind, welch großes Geschenk der Verstorbene anderen Menschen macht“, betont der Arzt. Zum Ende der Operation werden die Operationswunden des Verstorbenen nach allen Regeln der ärztlichen Kunst wieder verschlossen. Viele Angehörige hätten Angst, dass ein würdevolles Abschiednehmen von „ihrem“ Verstorbenen nicht möglich ist, weiß der Arzt. Das Gegenteil sei der Fall: „Sowohl vor, wie auch nach der Entnahmeoperation haben die Angehörigen ausreichend Zeit, sich von einem geliebten Menschen zu verabschieden, und werden in dieser schwierigen Zeit sowohl vom Klinikpersonal, wie auch von den Koordinatoren der DSO*, nicht alleine gelassen. Befürchtungen kann man im direkten Gespräch am besten aus dem Weg räumen“, betont Dr. Müller. Michael Klett weiß über seine Spenderin nicht viel, nur, dass es sich um die Niere einer 64-jährigen Frau handelt, die an einem Hirnschlag verstorben ist. Von der Operation bekommt er nichts mit, nach drei Wochen Krankenhausaufenthalt wird er entlassen. Die neue Niere springt an und arbeitet zunächst gut. Über zwei Jahre ist das her. Doch in der Zwischenzeit haben sich seine Werte wieder so stark verschlechtert, dass er wieder kurz vor der Dialyse steht. „Im Moment wird es beobachtet“, sagt er. Sollte es wieder zur Dialyse kommen, kommt der 55-jährige erneut auf die Warteliste…

*DSO = Deutsche Stiftung für Organtransplantation

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