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Die private Mobilmachung #32

Die Deutschen und der kleine Waffenschein

von Christoph Winter

Vor zehn Jahren, soeben volljährig geworden, beantragte Michael (Name geändert) beim Landratsamt Coburg einen sogenannten Kleinen Waffenschein. Der junge Coburger fühlte sich mit einem Schreckschuss-Revolver in der Tasche sicherer, wenn er abends unterwegs war. „Es war auch ein Teil jugendlicher Unbekümmertheit dabei“, räumt er heute unumwunden ein. Auch eine zweite Waffe dieser Art kaufte er. Zum ersten versilberten Revolver gesellte sich ein zweiter. Michael ist lange kein Einzelfall: Die Zahl der neu ausgestellten kleinen Waffenscheine steigt, das Interesse der Deutschen sich zu bewaffnen wächst weiter.

Zum Stichtag 31. Dezember 2018 waren im Nationalen Waffenregister (NWR) mehr als 610.937 Inhaber des sogenannten Kleinen Waffenscheins gemeldet, wie das Bundesinnenministerium mitteilte. Das waren fast zehn Prozent oder 53.377 mehr als ein Jahr zuvor. Am Silvestertag des Jahres 2017 waren es 557.560. Weitere zwölf Monate früher, im Januar 2016, hatte sich die Zahl der Kleinen Waffenscheine noch auf 300.949 belaufen: In den vergangenen beiden Jahren also hat sich die Anzahl der Kleinen Waffenscheine mehr als verdoppelt. Als möglicher Grund für das gestiegene Interesse an der Erlaubnis zum „Führen von Schreckschuss-, Reizstoff – und Signalwaffen“ war in den vergangenen Jahren immer wieder Verunsicherung und Angst genannt worden. Terroranschläge beförderten das Gefühl fehlender Sicherheit und damit den Drang, sich selbst schützen zu müssen. In der Stadt Coburg und im Landkreis entspricht der Trend den bundesdeutschen Zahlen. In den vergangenen fünf Jahren stellte das Ordnungsamt der Stadt im Jahr 2016 mit 78 Kleinen Waffenscheinen die höchste Zahl aus. Genauso die Situation im Landkreis Coburg, wo vor drei Jahren 236 dieser Dokumente erteilt wurden. Derzeit gebe es 852 gültige Kleine Waffenscheine im Landkreis Coburg, so Dieter Pillmann, geschäftsleitender Beamter in der Pressestelle des Landratsamtes Coburg. Die Motivationen, einen Kleinen Waffenschein zu beantragen und damit eine Schreckschuss-und Reizstoffwaffe bei sich tragen zu dürfen, sind nach den Angaben der Pressestelle der Stadt Coburg auch hier „Angst in der Öffentlichkeit“ und die eigene Sicherheit. Der Kleine Waffenschein kostet 75 Euro.

„Der Anstieg 2016 wird den Silvesterereignissen in Köln zugeschrieben“, sagt Dieter Pillmann. Damals war es in der Umgebung des Hauptbahnhofes und des Kölner Doms zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen durch Gruppen junger Männer vornehmlich aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum gekommen. In vielen Fällen wurden sowohl Sexualdelikte als auch Eigentums- und Körperverletzungsdelikte verübt. Es wurden in der folgenden Zeit 1054 Strafanzeigen aufgenommen: dabei 454 Fälle von Sexualdelikten, darunter auch mindestens drei Anzeigen wegen Vergewaltigung. Aus weiteren deutschen und europäischen Städten wurden ähnliche Vorfälle berichtet. Die Übergriffe erfuhren große nationale und internationale Beachtung.

Der Kleine Waffenschein wurde mit dem neuen Waffengesetz eingeführt, das am 1. April 2003 in Kraft trat. Er berechtigt den Inhaber zum Führen von Signal-, Reizstoff – und Schreckschuss-Waffen (SRS-Waffen) in der Öffentlichkeit. Im Behördendeutsch ist das „Führen“ dieser SRS-Waffen als „Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine erlaubnisfreie Waffe außerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume oder umfriedeten Besitztums“ beschrieben. Diese Waffen – in der Regel Pistole oder Revolver – müssen mit einem Prüfzeichen der Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) versehen sein. Zum bloßen Erwerb einer Waffe mit PTB-Prüfzeichen und der zugehörigen Munition genügt in Deutschland die Volljährigkeit. Für den Kauf und Besitz bedarf es also keiner behördlichen Genehmigung.

Ohne einen Kleinen Waffenschein müssen Schreckschuss- und Signalwaffen auf öffentlichen Straßen und Plätzen ungeladen sein und in einem verschlossenen Behältnis stecken. „Das Handschuhfach oder der Kofferraum gelten hier nicht als abschließbares Behältnis“, weiß Andreas Mai. Der Büchsenmachermeister, der in Coburg seit vielen Jahren ein Waffengeschäft betreibt, weist die Käufer von SRS-Waffen stets auf die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen hin und dass ein Kleiner Waffenschein nötig ist, um die Waffe zugriffsbereit in der Jackentasche bei sich zu tragen. „Diese Formulierungen kann ich schon im Schlaf aufsagen.“ Gleichwohl weiß er, dass manche Kunden nach dem Verlassen des Geschäfts die Waffe widerrechtlich auspacken und nicht warten, bis sie zu Hause sind. Verhindern kann Andreas Mai dies nicht.

Ungefährlich sind diese Waffen beileibe nicht. Immerhin tritt an der Mündung ein Druck von 500 bar auf. Ein aufgesetzter Schuss kann tödliche Folgen haben. Und auch Signalpatronen können schlimme und schwerste Verbrennungen verursachen. „Wenigstens dürfen Pfefferpatronen nicht mehr über den Versandhandel vertrieben werden“, zeigt sich Andreas Mai zufrieden. Neben dem Sicherheitsaspekt verweist der Büchsenmachermeister auf die Verwendung dieser Waffen in der Silvesternacht. Es krache genauso laut wie ein Böller, und die Signalpatronen ersetzten manche Silvesterrakete. „Und am Neujahrstag liegt nicht so viel Dreck auf der Straße. Obendrein ist man von der Witterung unabhängig. Es kann keine Zündschnur nass werden.“

Aus Sicht der Polizei vermitteln Schreckschuss-Revolver und Reizstoff -Pistole ein eher trügerisches Sicherheitsgefühl. Stefan Probst, Pressesprecher der Polizeiinspektion Coburg, sieht in diesen Waffen „mehr Nachteile als Vorteile“. Kritische Situationen würden eher eskalieren, wenn Schreckschuss-Waffen gezogen würden. Darüber hinaus könne sich der vorgebliche Schutz durch eine solche Waffe schnell zur Gefahr wandeln. „Nämlich dann, wenn bei der Polizei die Meldung eingeht, ‚Person mit Waffe‘“. Dann seien die Beamten schon wegen des Selbstschutzes alarmiert und gingen mit Schutzwesten und eventuell bereitgehaltenen Waffen in den Einsatz. Bei Personenkontrollen seien SRS-Waffen eher kontraproduktiv, auch wenn später ein Kleiner Waffenschein vorgezeigt werde.

Michael (Name geändert) hat seine beiden Schreckschuss- Revolver noch nie gebraucht. Weder um sich vor einer Bedrohung zu schützen noch um angriffslustige Hunde zu vertreiben. Die Schießeisen liegen wohl verwahrt in den Transportkoffern. Die Schmauchspuren und Pulverrückstände stammen von früherer Silvester-Knallerei. „Früher hatte ich ab und zu ‘ne Kanone eingesteckt, aber seit vielen Jahren schon nicht mehr.“


In den deutschen Wohnstuben gibt es immer mehr Schreckschuss-Waffen. Die Zahl der erteilten Kleinen Waffenscheine hat sich in den vergangenen beiden Jahren in etwa verdoppelt. Für den Kleinen Waffenschein ist in Bayern ein Antrag bei den Ordnungsämtern der kreisfreien Städte oder der Landkreise nötig. SRS-Waffen und die dazu gehörige Munition sind in Deutschland für volljährige Personen frei verkäuflich.

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