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Die vergessene Kultur #32

Die vergessene Kultur

Über die Zerstörung der Landschaft – Ein Interview mit Dietrich Pax

Landschaft beheimatet. Landschaft stift et Identität. Sie ist ein Stück Kultur. Aber sie wird nicht so behandelt: Sie wird ausgenutzt, verplant, vergift et. Doch mit dieser Zerstörung stirbt die Kulturlandschaft , stirbt auch das Wissen über deren Bedeutung für den Menschen. Bio-Landwirt und Gärtner Dietrich Pax kann diesen Prozess täglich beobachten. Er ist einer der wenigen Landwirte im Coburger Raum, die Tiere noch auf Weiden halten und damit Landschaft aktiv gestalten. Lisa Braunersreuther hat sich mit ihm unterhalten.

Man sieht immer weniger Menschen zwischen Wiesen und Feldern spazieren. Woran liegt das?

Unsere historische Kulturlandschaft war artenreich und kleinstrukturiert. Damit hat sie die Bedürfnisse der Menschen nicht nur nach Nahrung, sondern auch nach Erholung, Wohlfühlen, Schönheit, Erdung, Geborgenheit, Ruhe, aber auch nach Bewegung und der Nähe zu Pflanzen und Tieren erfüllt. Es gab ein großes Wissen um die Natur, die Menschen sind gerne draußen gewesen und haben es genossen Tiere auf einer Wiese zu sehen und mit ihnen in Interaktion treten. Wenn wir unsere heutige Landschaft anschauen, ist sie keine Kulturlandschaft mehr, sondern eine durch die Landwirtschaft gestaltete Landschaft . Und das hat zur Folge, dass die Menschen dann zum Beispiel um den Goldbergsee spazieren gehen, weil dort noch eine Landschaft als Kulturlandschaft zu finden ist, die unsere Bedürfnisse erfüllt.

Sie haben es schon angesprochen: Der Mensch sucht in der Landschaft auch den Kontakt zu Tieren. Weshalb gibt es immer weniger weidende Tiere?

Tiere auf Weiden zu halten ist aufwendig und im Verhältnis zu den Preisen, die die Verbraucher bereit sind für das Fleisch zu zahlen, zu teuer geworden. Dabei haben weidende Tiere auf das Wohlbefinden der Menschen einen sehr großen Einfluss. Und das nicht nur, weil sich Menschen freuen, Tiere zu sehen, sondern auch, weil Wiederkäuer die Borreliose sehr stark in Schach halten. Auf Flächen, auf denen Wiederkäuer weiden, sinkt das Risiko an Borreliose zu erkranken auf ein Sechzigstel. Allein das wäre ein Grund, den Bauern zu vergüten, dass sie Tiere auf die Weide stellen.

Weshalb halten Sie als einer der wenigen Landwirte im Coburger Kreis noch Tiere – in Ihrem Fall Schafe – auf Weiden?

Wir wollen alte Kulturlandschaften wieder aufleben lassen, sie bewahren und entwickeln, denn sie prägen unsere Artenvielfalt und haben eine wichtige Wohlfahrtswirkung.

Was versteht man eigentlich unter Kulturlandschaft?

Kulturlandschaft ist eine vom Menschen gestaltete Landschaft. Mal wird sie eher in ihrer natürlichen Erscheinung belassen, mal wird das Menschenwerk deutlicher. Die Landschaftskultur ist dabei das Zeugnis des gesellschaftlichen Bewusstseins über die Kulturlandschaft. In unserer Historie hatten Kulturlandschaften eine große Bedeutung: Im Mittelalter haben zum Beispiel die Mönche ganz viel daran gearbeitet, indem sie neue Kulturen entwickelt haben. So ist damals die Teichwirtschaft entstanden.

Warum verstehen wir Landschaft heute weniger als Kulturgut, sondern haben viel mehr den Blick auf die Landwirtschaft?

Wir haben uns als moderne Menschen angewöhnt, in allen Bereichen die Wirtschaft in den Mittelpunkt unseres Handels zu stellen und das Soziale und die Natur hinten anzustellen. Das passiert auch in Bezug auf unsere Landschaft: Wir haben den Fokus in der Landwirtschaft – wie es das Wort schon sagt – nahezu ausschließlich auf der Wirtschaft. Dabei haben wir heute dank Maschinen, Kunstdünger und Pestiziden eine Ressourcenausnutzung, die so hoch ist, dass wir diese Form der Landwirtschaft nicht weitere hundert Jahren betreiben können, da sie unsere Landschaft kaputt macht.

Wie verändert unsere heutige Landwirtschaft den Erholungswert unserer Landschaft?

Welchen Erholungswert? Wenn ich nicht gerade mit einem SUV mit 180 Stundenkilometern über die Autobahn brettere und mich daran freue, wie die Felder ihre Farben wechseln, hat sie keinen Erholungswert. Denn wenn man als Fußgänger unterwegs ist, ist eigentlich keine Erholung im Sinne unserer Bedürfnisse nach Geborgenheit, Schönheit und Kontakt mit Tieren mehr möglich.

Zerstören wir also mit unserer Landschaftskultur unsere Kulturlandschaft?

Man muss es so deutlich sagen: Wir haben keine Kulturlandschaft mehr, sondern wir haben eine Landwirtschaft, die unsere Kulturlandschaft zerstört. Die derzeitige Landwirtschaft ist der Grund, weshalb das Wort Kultur in dem Kontext der Landschaft gar nicht mehr vorkommt. Ehrlicherweise müssen wir aber auch sagen, dass wir da als Bevölkerung ganz stark dazu beitragen. Wir beschweren uns über die Landschaft, die wir täglich über unsere mickrigen Lebensmittelpreise erst notwendig machen.

Was können wir tun, um unsere Landschaft zu erhalten oder so zu gestalten, dass sie wieder mehr Erholungswert bietet?

Erhalten würde ich sie gar nicht wollen. Ich will, dass sie sich deutlich verändert. Sie soll artenreicher, kleinräumiger, und mehr gestaltetet werden.

Wie kann man als Einzelner dazu beitragen, dass das möglich wird?

Im Augenblick zahlt jeder Steuerbürger jährlich 114 Euro für die Landwirtschaft. In Coburg Stadt und Land sind das in Summe rund 9,6 Millionen Euro. Ich finde, für diese riesige Summe kann man auch anständige Bedingungen verlangen. Das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ hat zumindest in Bayern gezeigt, dass viele Menschen dahingehend auch ein Unwohlsein haben. Das war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, aber eben auch nur einer.

Wenn das nur ein Schritt war: Wie kann der zweite aussehen?

Wir sollten uns alle bewusst machen, welche Produkte wir kaufen. Denn sicherlich ist die konventionelle Landwirtschaft einer der Verursacher für den Kummer. Das ist nie der einzelne Bauer. Sondern es geht um das System Landwirtschaft , das wir seit etwa 100 Jahren falsch bedienen. Aber wir haben mittlerweile auch fast zehn Prozent Biobauern, die schon ganz viel anders machen, um Landschaft als Kulturgut zu bewahren und zu verbessern.

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Heißt das, dass biologische Landwirtschaft mehr dafür tut, Landschaft als Kulturgut zu pflegen als konventionelle Landwirtschaft?

Prinzipiell ja. Der Ökolandbau ist da sehr viel besser aufgestellt als der konventionelle Landbau, da er die Artenvielfalt wesentlich stärker fördert. Ein simples Beispiel: Im konventionellen Anbau wird für maximale Erträge das Getreide so eng gesät, dass die Lerchen nicht mehr landen und brüten können. Im Ökolandbau wird weiter gesät, so dass auch Lerchen auf dem Acker landen können. Heute werden diese Systemleistungen der Bio-Bauern allerdings nicht vergütet. Im Augenblick bekomme ich als Biobauer nur Geld dafür, dass ich die Umwelt nicht so versaue wie die anderen, aber nicht dafür, dass ich eine Umweltleistung an Artenvielfalt erbringe. Es geht also um einen Minderertrag und nicht um einen Mehrwert. Das ist ein komplett falscher Ansatz.

Kann man als Endverbraucher etwas tun, um die Landschaft als Kulturgut zu erhalten?

Ja, man kann darauf achten, dass man biologische und regionale Produkte kauft . Denn das würde die Artenvielfalt erhöhen, die Pestizidbelastung auf null reduzieren und viele weitere Wohlfahrtswirkungen mit sich bringen. Aber wir brauchen noch etwas anderes. Das sind Antworten auf die Frage: In welcher Landschaft wollen wir leben? Da geht es um Kleinräumigkeit, um das Behaustsein und des Sich-Wohlfühlen. Das sind Extraleistungen, die Landwirte dann erbringen müssten und die natürlich auch bezahlt werden müssen. Übrigens könnten auch Unternehmen ganz viel für unsere Landschaft tun, indem sie in ihrer Kantine teilweise oder komplett auf regionale Biolebensmittel umsteigen.

Warum reicht entweder Bio oder regional nicht aus?

Beide Ansätze sind gut, aber für sich genommen decken beide jeweils nur einen Teilaspekt ab. Regional bedeutet konventionell regional. Das heißt: Hiermit unterstützt man, dass Pestizide und Düngemittel in unserer Region ausgebracht werden, die in unser Grundwasser gelangen können. Kaufe ich beispielsweise regionales Fleisch, fördere ich auch die Nitratbelastung in unseren Böden und unserem Wasser. Und über die Wertschöpfungskette sagt das Label regional übrigens auch nichts aus. Ein Beispiel: Bei einem „regionalen“ Kohlrabi könnte das Saatgut aus China kommen, die Jungpflanzen in Holland angebaut und in Franken gepflegt, geerntet und auf den Markt gefahren worden sein. Deshalb reicht regional allein nicht aus. Und Bio alleine sagt natürlich nicht aus, dass es keinen Sinn macht, für Heiligabend Bioerdbeeren aus Südafrika zu uns zu fliegen. Da hilft das Biolabel überhaupt nicht. Deshalb ist die Kombination aus Bio und regional die sinnvollste Lösung.

Kann man prognostizieren, wie sich unsere Landschaft verändern würde, würden wir alle nur noch Bio und regional kaufen?

Sie würde auf jeden Fall sehr viel artenreicher werden. Wir würden über die Jahre und Jahrzehnte die Düngebelastung im Grundwasser stark reduzieren können und wir hätten keine Pestizidbelastung mehr. Klar ist aber auch: Wir müssen jetzt erst einmal die letzten 50 Jahre voller Pesitizid- und Düngebelastung im Grundwasser leertrinken – so ist das eben. Aber es wäre langfristig eine tolle Lösung.

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