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Grenzgeschichten #41

Grenzgeschichten

Von Gabi Arnold | Fotos: Val Thoermer

Der Nebel hat sich eben aufgelöst an diesem Freitagmorgen. An der ehemaligen innerdeutschen Grenze in Neustadt bei Coburg blitzen die ersten Sonnenstrahlen durch die Bäume. Einst säumten hier Betonpfosten und Stacheldraht den Weg, dahinter sah man vom Westen blickend Minenfelder und die Grenzpatrouillen, die mit Hunden entlang der Grenze auf und ab liefen.

Heute, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, sind die Spuren des Eisernen Vorhangs noch immer sichtbar, auf diesem Weg, der zum ehemaligen Ausflugslokal „Zur Bergmühle“ im Neustadter Stadtteil Ebersdorf führt. Am einstigen Todesstreifen erstreckt sich das Naturschutzprojekt, das „Grüne Band“. Hin und wieder warnt ein Hinweisschild Spaziergänger vor Minen in diesem Areal. Menschenleer und verlassen wirkt dieser Ort morgens um 9 Uhr, doch dann begegnen uns doch Menschen und erzählen uns von ihren (Grenz-)Erfahrungen.

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Peter und Marie Neumann wollen an diesem Oktobermorgen Pilze auf dem Muppberg sammeln. Zur DDR-Zeiten konnten sie von Heubisch aus, einem Ortsteil der Gemeinde Föritztal im südthüringischen Sonneberg, nur in den Westen auf das erhabene Waldstück blicken. „Wir haben direkt an der Grenze gewohnt und gesehen, wenn die Busse an der Bergmühle hielten“, erinnert sich Peter Neumann. Die Neumanns lebten in einem der damaligen Sperrgebiet der DDR. Im Mai 1952 hatte die Führung der DDR ihr Land mit einem fünf Kilometer breiten Sperrgebiet entlang der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland abgeriegelt. Im Sperrgebiet verlief an der Grenze ein 500 Meter breiter Schutzstreifen und unmittelbar davor ein zehn Meter breiter Kontrollstreifen. „Unser zwei Kinder wussten, dass sie da nicht weiterlaufen dürfen.“ An das Leben im Sperrgebiet hatten sich die Neumanns gewöhnt. Aber: „Als die Grenze aufging, war das Gefühl unbeschreiblich“, sagen sie und machen sich auf zum Pilze suchen, in den Wald, den sie früher nur von „drüben“ gesehen haben.

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In Sonneberg im Stadtteil Oberlind sind Horst und Karin Räder zu Hause. Oberlind lag ebenfalls im ehemaligen Sperrgebiet der DDR. „Da brauchte man einen Passierschein, um das Sperrgebiet zu betreten. Das war ja furchtbar“, erinnert sich Karin Räder. Die landwirtschaftlichen Flächen habe man nicht – wie eigentlich üblich – nach der Witterung, sondern den Vorgaben des Staates bestellen müssen, ergänzt ihr Mann. „Dann gab es Ernteverluste“, erinnert sich der 81-Jährige. Er habe den Zweiten Weltkrieg noch erlebt, die Schließung der Grenze und die Wiedervereinigung. „Wir haben immer gehofft, dass die Grenze eines Tages wieder aufgeht, aber geglaubt haben wir nicht mehr daran.“ Mit der Öffnung kam die Reisefreiheit und die Räders verbringen seitdem ihren Urlaub auf der Alm. Ihre Spaziergänge führen auf dem Muppberg und dort hängen übrigens Vogelhäuschen, die Horst Räder in Oberlind gefertigt hat. „Das ist mein Hobby“, sagt er, und gemeinsam mit seiner Frau setzt er seinen Weg fort, entlang der innerdeutschen Grenze, dort wo früher Betonpfosten und Stacheldraht den Westen und den Osten trennten, hinter dem Zaun Minenfelder waren und Grenzpatrouillen auf und ab liefen.

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Darf ich mal fragen was ihr hier macht“, ruft uns Martin Knauer neugierig entgegen. Knauer ist der ehemalige und damit auch letzte Wirt der Bergmühle. Der 52-Jährige ist direkt an der Grenze und mit der Grenze aufgewachsen. Wir erzählen, dass wir uns mit Menschen über die Zeit, als Deutschland noch getrennt war, unterhalten wollen. Knauer antwortet: „Ich sage das einmal so, es war Normalität. Hier haben sich Fuchs und Hase gute Nacht gesagt, wir haben hier sehr ruhig gelebt.“ Als Kind habe er heimlich von seinem Fenster aus immer nach drüben in die DDR geschaut und die „Vopos“ beobachtet. Mit der Ruhe sei es nach Grenzöffnung erst einmal vorbei gewesen, vor allem für die Menschen, die direkt an der Grenze gelebt haben. Das Gasthaus „Zur Bergmühle“ habe er schweren Herzens von 16 Jahren schließen müssen. „Ich war alleine und konnte es nicht weiterführen“, sagt er.

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Es radelt eine Frau in Begleitung ihres Hundes vorbei und hält an. Christine Bonas ist in Neustadt bei Coburg groß geworden. „Wir sind hier als Kinder mit unseren Eltern zur Bergmühle gelaufen. Auch heute bin ich hier noch unterwegs mit meinem Hund“, sagt sie. In der Bergmühle habe es den besten Käsekuchen, die besten Schinken- und Käsebrote gegeben, erinnert sie sich. Die Grenze sei normal gewesen, man habe es ja nicht anders gekannt. „Einmal haben wir hier Ball gespielt und der Ball ist nach drüben gefallen“, sagt sie und blickt in die ehemalige DDR. Auf ein Zurückwerfen vonseiten der DDR-Grenzpolizei haben die Kinder damals vergeblich gewartet. „Die Grenzer haben nicht reagiert, weil sie ja keinerlei Kontakt zum Westen aufnehmen durften.“

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