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Harakiri am Berg #29

Harakiri am Berg – Die steilsten Pisten in den Alpen

Wenn der Schnee staubt und die Sonne vom blauen Himmel blitzt, dann zuckt es in den Beinen. Dann beginnt die Skisaison. Dann zieht es die Brettlfans ins Gebirge. Immer mehr suchen dort mehr als die einfache Familienabfahrt. Sie suchen den besonderen Kick. Es lockt der Rausch der Tiefe. Es lockt das besondere Glücksgefühl.

Es ist der Moment, wenn der Atem stockt, der Hormonspiegel steigt, der Blutdruck nach oben schießt, der Magen kribbelt: Eigentlich möchte man jetzt davonlaufen, eigentlich ist es aber genau diese Situation, die man sucht, wenn die Vernunft mit der Lust kämpft : Diese Lust am Risiko, dieser Kick Adrenalin, wenn man oben steht, an der Kante des Abgrundes, den Blick nach unten und genau weiß – Fehler solltest Du Dir jetzt nicht erlauben. Dann noch einmal tief durchschnaufen und rein in den Hang. Jetzt ist die Entscheidung getroffen. Ein Zurück gibt es nicht mehr, nur ein nach unten.

Schmal, eisig, bucklig

Die steilsten Pisten in den Alpen üben auf Skifahrer einen besonderen Reiz aus. Sich überwinden, das eigene Können ausreizen, den Hang besiegen. Es gibt viele Gründe. Normale Pisten, Schönfahren, das reicht oft nicht mehr. Dann schon lieber die besondere Herausforderung suchen, immer öfter, immer mehr. Lange nicht alle sogenannten schwarzen Pisten gehören da dazu. So nämlich werden die anspruchsvollsten Abfahrten in den Alpen gekennzeichnet. Dazu reicht laut Definition aber schon ein Längs- und Quergefälle von mehr als 40%, also im Schnitt 40 Meter Höhenunterschied auf eine Strecke von 100 Metern. Das stellt für gute Skifahrer in der Regel noch keine Herausforderung dar. Richtig spannend aber wird es erst bei deutlich mehr Gefälle, bei schmalen Streckenabschnitten, bei Eis und Buckeln. Dann erst pocht das Blut in den Adern. Oft handelt es sich bei diesen Streckenabschnitten nur um kurze Stücke, um Abhänge einer längeren Piste. Das aber reicht aus für den besonderen Kick.

Hau di runter

Die Alpen haben einige dieser extrem steilen Abfahrten zu bieten, die man nur als geübter Skifahrer mit einer Topausrüstung und natürlich einem Helm wagen sollte. Schon die Namen dieser Abfahrten verbreiten Angst und Schrecken: Harakiri heißt die berühmteste im Skigebiet Mayrhofen, 78 Prozent beträgt das Gefälle der Strecke, „Hau di runter“ ist das Motto, belohnt wird der erfolgreiche Ritt auf der selbsternannten „steilsten präparierten Skipiste Österreichs“ dann mit Merchandising-Artikeln. Oder auch einem Foto. Das gibt’s immer Freitagnachmittags von den Mayrhofer Bergbahnen. Dieses touristische Spiel mit der Gefahr lohnt sich also, stößt aber auch auf Kritik: Viele ungeübte Skifahrer treten zur Mutprobe an, mit allen Risiken für Leib und Leben. Doch Bertold Brecht sollte ja nicht unbedingt Recht behalten, wenn er sagt: „Der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein.“

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Gefälle über 100%

Eine andere Piste, die Skifahren trotz Winterkälte den Schweiß auf die Stirn treibt, findet sich in Steinach am Brenner in Tirol. Die WM-Piste „Manni Pranger“, benannt nach dem Slalomweltmeister von 2009 Manfred Pranger, hat ein Gefälle von über 100 Prozent und gilt wiederum als die selbsternannte „steilste maschinell präparierte Piste Österreichs“, weil sie nur mit Winde und einem speziellen Pistengerät bearbeitet werden kann. Wer sich in sie hineinwagt, sollte seine Bretter schon im Griff haben und eine ordentliche Oberschenkelmuskulatur kann auch nicht schaden. Im Notfall holt einen zwar der Pistenbulli aus der Steilwand, wie schon oft passiert, wer aber will sich denn schon so blamieren? Dann lieber die gemütliche Familienabfahrt wählen, die ein paar Meter oberhalb abzweigt. Auf der kommt man im Zweifel auf jeden Fall sicher und gesund ins Tal.


Diese Lust am Risiko, dieser Kick Adrenalin, wenn man oben steht, an der Kante des Abgrundes, den Blick nach unten und genau weiß – Fehler solltest Du Dir jetzt nicht erlauben.


Teuflisch

Ein paar Kilometer weiter westlich, im Montafon in Vorarlberg, geht es teuflisch zur Sache, wenn man sich die „Diabolo“ im Skigebiet Golm hinunterstürzt. „Trau di ahi“ sagen die Einheimischen ähnlich wie an der Harakiri, „Trau dich runter“. Man muss sich schon ein wenig überwinden, denn vor allem auf den ersten Metern wird man schon kurzatmig bei 70 Prozent Gefälle. Dafür kann man sich im weiteren Verlauf der Strecke ausruhen, wenn die Piste dann ihre ganze Sanftmut zeigt. Kann aber auch nicht schaden, wenn die Oberschenkel schon brennen… Nach einer kurzen Erholungsphase locken dann noch die sogenannten „Black Scorpions“ im benachbarten Skigebiet „Silvretta Montafon“. Gleich sieben extrem schwere schwarze Pisten fordern dort den ganzen Mann oder die ganze Frau. Bei Gefällen von über 80 Prozent merkt man, warum gute Kanten nichts schaden können. Vor allem die eisige steile kurve Sennigrat –Piste hat es in sich. Aber auch die beiden Skirouten Sennihang und Abhenkina.

Endorphin im Blut

Wenn es ein bisschen mondäner im Umfeld sein soll, empfiehlt sich Lech am Arlberg. Aber nicht nur zum Geldausgeben und Seines-Gleichen-Treffen ist der historische Skiort das richtige Ziel. Denn vor dem abendlichen Prosecco und Hummer gibt es auch eine ordentliche Portion Adrenalin zur Vorspeise: Der „Lange Zug“ dort nämlich hat so gar nichts mit einer gemütlichen Eisenbahnfahrt zu tun, sondern eher mit einem halsbrecherischen Höllenritt. Nur die Allermutigsten trauen sich in den Hang, bei 55 Grad Neigung, also über 140% Gefälle gleich zu Beginn. Nicht wenige wagen zwar einen Blick in den Abhang, mehr aber auch nicht. Wer sich aber traut, wird belohnt, mit Endorphinen im Blut, mit über 6 Kilometern Pistenspaß und vor allem auch mit atemberaubenden Ausblicken in die Bergwelt.

Vor dem Einkehrschwung …

Und wer dann immer noch nicht genug hat, kann auch die „Direttissima“ am Katschberg besuchen, die auch „Kärntner Streif “ genannt wird in Anlehnung an die berühmte Kitzbühler Streif (die in der Regel den Profis vorbehalten ist) mit Neigungen zwischen 60 und 100 Prozent und einer Länge von 2500 Metern, die „Gamsleiten 2“ in Obertauern im Salzburger Land mit bis zu 100 Prozent Gefälle und vor allem vielen eisigen Buckeln, den „Franz-Klammer-Stich“, benannt nach dem legendären österreichischen Ski Idol Franz Klammer, in Bad Kleinkirchheim in Kärnten mit 80 Prozent, die „Direttissima“ in Serfaus-Fiss-Ladis in Tirol, zahlreiche Strecken in der Schweiz und Frankreich oder auch, ganz in der Nähe, die berühmte „Kandahar“ in Garmisch-Partenkirchen. Auch die deutsche WM-Abfahrt nämlich hat ein Stück, bei der einem bei über 90 Prozent Gefälle der Atem stockt.


Adrenalinkick
Adrenalin wird vom Körper ausgeschüttet, wenn er besonderen Anforderungen und Anspannungen ausgesetzt ist. Das Hormon Adrenalin fokussiert unsere Wahrnehmung auf den Moment, es setzt ungeahnte Kräfte frei und bringt unseren Geist nach der Herausforderung in eine euphorische Stimmung – weswegen der Adrenalinkick auch eine gewisse Suchtgefahr birgt. Dazu der Gottvater des Extremkicks, Jochen Schweizer: „Wer etwas wagt, geht das Risiko ein, zu verlieren. Wer nie etwas wagt, verliert garantiert. Denn Angst zu überwinden, bedeutet Freiheit.“ (Aus Fit for Fun)

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