Zwei Jahre Oberbürgermeister Norbert Tessmer
Als der alte Bekannte ist er damals angetreten zur OB-Wahl 2014. Er war über Jahrzehnte allgegenwärtig in der Stadt, in der Partei, als Stadtrat, als Bürgermeister. Er war beliebt, auch weil er immer ein Kämpfer für die Menschen war, für Bildung, Kultur, die kleinen Leute. Diesen Norbert Tessmer wählten die Coburger dann auch 2014 zu ihrem neuen Stadtoberhaupt. Jetzt sind gute zwei Jahre vorbei. Ist er noch derselbe? Und welche Themen beschäftigen ihn? Der COBURGER hat sich mit ihm unterhalten.COBURGER: Herr Tessmer, gute zwei Jahre sind Sie jetzt im Amt, haben ihren Stuhl im Bürglaßschlößchen geräumt und den OB-Sessel eingenommen. Jetzt müssen Sie mehr Entscheidungen treffen, und vor allem zu viel mehr Themengebieten. Haben Sie sich ihre neue Aufgabe so vorgestellt?
Norbert Tessmer: Also eines hat sich schon sehr verändert, das gilt aber generell: Die Geschwindigkeit nimmt rasant zu. Das liegt an der Digitalisierung, das liegt an den sozialen Medien, das liegt an der permanenten Erreichbarkeit, das ist einfach die heutige Zeit. Dem muss man sich stellen. Parallel dazu nimmt die Fülle der Entwicklungen zu, die Komplexität steigt. Es muss also auch von einem Oberbürgermeister immer mehr immer schneller entschieden werden. Während man früher noch Zeit hatte, Entscheidungen oder Informationen in der gebotenen Ruhe vorzubereiten oder zu sichten, werden heute Entscheidungen am besten schon vorgestern erwartet.
COBURGER: Das hört sich aber weniger nach Gestalten an, wie Sie es ja eigentlich vorhatten.
Norbert Tessmer: Man kommt sich manchmal schon vor wie beim Wettlauf zwischen Hase und Igel. Das ist richtig. Und eigentlich würde ich gerne noch mehr gestalten, oftmals wird man aber von diesen Mechanismen getrieben. Das macht einem schon manchmal zu schaffen.
COBURGER: Haben Sie Ihre Themen also in den ersten zwei Jahren schon aus den Augen verloren?
Norbert Tessmer: Ich habe ja Schwerpunkte gesetzt und verfolge die auch, wie ganz oben auf der Agenda natürlich das Thema Landestheater. Aber auch die Entwicklung der Innenstadt liegt mir sehr am Herzen, da konnte ich viel auf dem aufsetzen, was vor mir entschieden und auf den Weg gebracht wurde. Jetzt bringen wir ja auch wieder einiges nach vorne, auf dem andere dann aufsetzen können. Es wurde und wird viel gebaut in Coburg, am Albertsplatz, am Brauhof, in Ketschendorf, am Diakonisch-Sozialen-Zentrum kommt ein Projekt, auch wenn es da aktuell ja Widerstände gibt. Also es tut sich viel, ich werte das als positiv.
COBURGER: Das Geld aber geht zur Neige, der Haushalt wurde lange nicht genehmigt, man hat doch nach den fetten Jahren von früher viel weniger Spielraum?
Norbert Tessmer: Mittlerweile ist der Haushalt genehmigt, wenn auch mit Auflagen. Und dass es so lange gedauert hat mit der Genehmigung, lag ja nicht an uns, an der Stadt oder der Stadtverwaltung, das lag an der Ausstattung bei der Behörde in Bayreuth, die einfach nicht früher dazu kam. Und von dort kam auch ein ganz wichtiges Signal: Wir stehen nach wie vor nicht schlecht da in Coburg, aber wir müssen unsere Hausaufgaben machen.
COBURGER: In Coburg wird vor allem ein Kostentreiber heiß diskutiert: Das Landestheater. Hohe zweistellige Sanierungskosten, eine millionenteure Ersatzspielstätte. Kann sich die Stadt das wirklich leisten?
Norbert Tessmer: Was ist die Alternative zu einer Sanierung des Theaters? In meinen Augen gibt es keine. Das Theater ist ein Alleinstellungsmerkmal. Das ist zwar schon ein großer Brocken, was die Sanierung angeht. Aber das Theater hat eine große Bedeutung für die Stadt, für ihre Bewohner, mit seiner Strahlkraft nach außen in die Nachbarregionen und darüber hinaus. Und man darf nicht vergessen: Die vielen Besucher von außen lassen hier ihr Geld, zahlen Eintritt, nutzen die Gastronomie, gehen essen und vielleicht noch etwas trinken, übernachten in Coburg, werden auf die Stadt aufmerksam, kommen vielleicht mal wieder.
COBURGER: Dennoch: Auf der einen Seite werden in der Stadt Gebühren erhöht in verschiedenen Bereichen, auf der anderen gibt man sehr viel Geld über sehr viele Jahre für einen Kulturtempel aus. Wie will man das den Menschen erklären?
Norbert Tessmer: Klar ist das eine Riesenleistung einer Stadt mit 41000 Einwohnern, so ein Theater, so eine Sanierung und auch eine Ersatzspielstätte zu stemmen. Aber es ist für mich die einzig sinnvolle Lösung. Und wir dürfen nicht vergessen: Der Freistaat zahlt ja 75% der Sanierung des Haupthauses, 75% der Interimsspielstätte und die Hälfte der Kosten für die Erweiterungsbauten.
COBURGER: Der Freistaat ist aber auch Bauherr. Die Stadt hat also nur wenige Möglichkeiten, auf Kosten, auch eventuelle Mehrkosten wie bei anderen ähnlichen Maßnahmen in Bayern oder Deutschland Einfluss zu nehmen. Manche reden schon davon, dass die Sanierung über 100 Millionen kosten könnte.
Norbert Tessmer: Auch der Freistaat ist doch interessiert daran, die Kosten einzuhalten. Er müsste sich ja im Landtag erklären, also man hat in München schon Interesse daran, dass so etwas wie Würzburg und Augsburg, wo die Kosten nach oben geschossen sind oder am Gärtnerplatztheater in München hier eben nicht passiert.
COBURGER: Vor einer Sanierung könnte man ja auch, sagen Kritiker der teuren Sanierung, über andere Lösungen nachdenken: Man könnte in Coburg kleinere Brötchen backen, auf eine Sparte verzichten oder Lösungen wie andere Theater ohne eigenes Ensemble anstreben, z.B. nur mit Gastauftritten.
Norbert Tessmer: Da würden wir uns ins Knie schießen. Also mit mir gibt es keine Abschaffung einer Sparte, keine Umwandlung des Landestheaters in eine andere Form, dass z.B. Ensembles von außen hier Station machen. Das würde eines der wesentlichen Aushängeschileder der Stadt bis ins Mark treffen und damit die Stadt selbst. Man darf beim Theater nämlich auch den geistigen Zins nicht vergessen.
COBURGER: Was aber würde der geistige Zins bringen, wenn die Stadt irgendwann handlungsunfähig wäre, weil die Kassen leer sind? Das ist ja die Befürchtung der Kritiker.
Norbert Tessmer: Wir dürfen nicht vergessen: Der befürchtete Einbruch der Bevölkerungszahl in Coburg ist nicht gekommen. Der Wanderungssaldo ist ausgeglichen. Wir sind stabil bei 41000 Einwohnern. Warum? Weil wir ein gutes Bildungssystem haben, gute Schulen, gute Einrichtungen für ältere Menschen, Arbeitsplätze, aber eben auch ein sehr breites Freizeit- und Kulturangebot, und dazu gehört als Standortfaktor eben ganz vorne auch das Theater.
COBURGER: Nun gibt es ja eben auch das Problem mit der Übergangsspielstätte, von acht Millionen Euro Kosten war da die Rede.
Norbert Tessmer: In Sachen Übergangsspielstätte hatten wir einen Workshop. Und nach wie vor ist klar: Entweder nutzen wir die noch vorhandene Angersporthalle und rüsten die um, wobei die danach eben abgerissen werden würde, oder wir machen das, was wir in Genf gesehen haben. Eine Interimsspielstätte in Holzbauweise. Dort hat das zwar 11 Millionen gekostet, aber das ist in der Schweiz, dort ist alles teurer, die haben die Halle dort in 70 Lastwagen von Paris nach Genf gefahren, dort aufgeschnitten und noch einen Teil dazu gebaut, extra Parkplätze geschaffen, Anschlüsse gelegt usw. Wir könnten so etwas vielleicht in den Rosengarten bauen oder auf den Anger. Das wären zwar mehr als die 5 Millionen für die Angerhalle, aber deutlich weniger als die angeblichen acht Millionen. Meine Hoffnung ist außerdem, dass wir diese Halle danach weitergeben können für andere Zwecke, an eine andere Stadt oder einen Veranstalter und dadurch wieder etwas refinanzieren. Aber das ist Zukunftsmusik.
COBURGER: Kommen wir zu anderen Themen, mit denen Coburg nach außen hin Werbung für sich machen kann. Was fällt Ihnen da ein?
Norbert Tessmer: Dass nach 1997 wieder eine Landesausstellung in Coburg stattfindet, ist eine tolle Sache. Wir erwarten wieder viele Besucher, und wenn dann der Status als Lutherstätten-Welterbe dazu kommt, würde das natürlich prima passen im nächsten Jahr. Damit könnten wir landes- und bundesweit punkten. Das macht sich sicher für die Anziehungskraft der Stadt bemerkbar. Und natürlich ist auch die Sache mit dem Weihnachtsbaum aus Coburg für die Queen ist eine schöne Sache. Also das sind einige Themen, mit denen Coburg von sich reden machen kann.
COBURGER: Auch ein anderes Thema hat kürzlich für Aufsehen gesorgt: Regiomed denkt über einen Neubau nach. Ein Megaprojekt wäre das mit Auswirkungen für die ganze Stadt. Wie ist da der Stand?
Norbert Tessmer: Ich bin von Seiten Regiomed gefragt worden, ob die Stadt ein Grundstück für einen möglichen Klinikneubau zur Verfügung hätte bzw. eine passende Fläche in der Stadt. Da liegt das BGS- Gelände natürlich nahe. Das wird schon seit vielen Jahren kaum mehr genutzt, ist eine Brache, ist groß, liegt günstig, also habe ich das mal ins Spiel gebracht. Man wird sehen, wie das jetzt weitergeht.
COBURGER: Und weitere handfeste Themen, Strukturprojekte, die Coburg nach vorne bringen?
Nobert Tessmer: Das Güterbahnhofgelände macht gute Fortschritte. Der Brückenbau für die Brücke von der Ernst-Faber-Straße her auf das Gelände ist im Zeitplan, sie wird nächstes Jahr wie geplant fertiggestellt. Und dann soll und wird auf der Fläche Neues entstehen, es ist und wird ein Ort für innovative Ideen. Man muss dann noch sehen, was als Bausubstanz noch erhaltenswert ist, viel ist ja nicht mehr da. Die Pakethalle auf jeden Fall muss stehenbleiben, das ist der Anker auf dem Gelände, das ist ja jetzt schon ein Mittelpunkt, da tut sich ungeheuer viel. Und sie verbreitet einen morbiden Charme, der ja auch ankommt bei den Menschen.
COBURGER: Aber die leeren Geschäfte in der Innenstadt bekommt man damit auch nicht wieder voll?
Norbert Tessmer: Wir müssen die Innenstadt weiter stärken. Wir haben den Arbeitskreis Einzelhandel wieder belebt, da gibt es intensive Dialoge auch mit der IHK. Dann nenne ich nur das Stichwort Digitale Einkaufsstadt, da greifen wir Händlern aktiv unter die Arme, damit sie die neue Welt im Internet nicht nur als Gegner, sondern auch als Chance begreifen und für sich entsprechend nutzen.
COBURGER: Der HSC ist kürzlich in die stärkste Handball-Liga der Welt aufgestiegen. Was hat das für eine Bedeutung für die Stadt?
Norbert Tessmer: Coburg hat eine bunte Sportwelt. Natürlich ist da der HSC mit seinem Aufstieg in die erste Liga aktuell die Nummer Eins. Aber wir haben auch erfolgreiche Paddler, Billardspieler, Basketballer, aufstrebende Fußballer wie Bosporus, das Nachwuchsleistungszentrum vom FC, um nur einige zu nennen. Die darf man bei der aktuellen Handballeuphorie nicht vergessen. Wir sind eben nicht nur im Spitzen-, sondern auch im Breitensport sehr gut aufgestellt. Und dass es Volleyball als Spitzensport in Coburg jetzt nicht mehr gibt, finde ich persönlich schade, ausgesprochen schade. Das hätte Coburgs Vielfalt auch weiterhin bereichert.
COBURGER: Es gibt jetzt seit geraumer Zeit eine Max-Brose-Straße, die Aufregung ist abgeklungen, hat sich der Deal mit Brose-Chef Michael Stoschek für die Stadt gelohnt?
Norbert Tessmer: Es hat keinen Deal mit Michael Stoschek gegeben, wir haben jetzt einfach wieder ein konstruktives Miteinander. Und das ist gut für die Stadt.
COBURGER: Kommen wir noch zu ein paar stadtinternen Problemen. Die Stadtratsfraktionen erodieren ja zum Teil. Wechsel zwischen den Fraktionen, neue Vorsitzende, neue Gruppierungen, ist das ein Spiegelbild der aktuellen Situation auf großer Bühne?
Norbert Tessmer: Die etablierten Parteien haben große Probleme. National, aber auch lokal. Viele Menschen haben kein Interesse mehr an Politik, an großen Volksparteien, wir leben ja auch seit 1945 in Frieden, den Krieg haben die wenigsten noch erlebt, wir haben einen gewissen Wohlstand, eine gewisse Stabilität, auch wenn sicher nicht alle auf der Sonnenseite sind. Aber eigentlich müssten wir doch dankbar sein im Großen und Ganzen. Stattdessen erodieren die klassischen Parteien, die für große Teile der Bevölkerung stehen. Das stimmt mich schon sehr nachdenklich.
COBURGER: Nächstes stadtinternes Thema: das neue Beteiligungsmanagement der Stadt. Möchte man damit wieder mehr Einfluss gewinnen auf SÜC & Co? Oder möchte man ihre Gewinne anzapfen?
Norbert Tessmer: Wir wollten und wollen nicht, dass sich die städtischen Töchter von der Mutter, der Stadt, entfernen. Da muss es eine Klammer geben. Das muss eine der Aufgaben des Beteiligungsmanagements sein. Es geht nicht in erster Linie darum, dass die städtischen Töchter gewinnmaximierend arbeiten und ihre Gewinne an die Stadt abführen so wie in anderen Städten, auch wenn wir das natürlich wissen und uns da auch informieren.
COBURGER: Und auch in Ihrem nächsten Umfeld im Büro ändert sich so einiges. Neuer Pressesprecher, der alte wird abkommandiert, eine Kündigung einer leitenden Mitarbeiterin liegt auch auf dem Tisch. Das spricht für große Unruhe.
Norbert Tessmer: Ich stelle mir gerade Schritt für Schritt die Mannschaft zusammen, mit der ich in die nächsten vier Jahre gehen möchte. Das werden keine riesig großen Veränderungen sein, aber an der einen oder anderen Stellschraube müssen wir schon drehen.
Das Gespräch führte Wolfram Hegen.