Hass im Netz #49

Wenn sich Wut verbal entlädt

  • „Eines Tages wenn du gar nicht damit rechnest bist du fällich du Fogel und was dann bassiert wird ein Alptraum für dir“
  • “Geh sterben”
  • “Du Wichser”
  • “Du Stück Scheisse”
  • „Man sieht schon an Deinem Namen, dass Du nicht von hier bist.“
  • „Schwule s A****l***“
  • „Geh in Therapie “
  • „Du Hurensohn“
  • „Dir juckt wohl Dein Fressbrett“
  • „Du gehörst in den A**** gef*****“
  • „Ich mache Dir das Leben zur Hölle“
  • „Wo wohnst Du, damit ich vorbeikommen kann?“
  • „Eine dumme Sau bist Du“
  • „Die hat sowieso ein großes Maul und kriecht den alten Bürgermeister in den A****, wie es ekeliger nicht sein könnte .“
  • „Du gehörst in die Anstalt“
  • „Dir haben sie das Gehirn amputiert“

Die Zitate stammen aus den sozialen Medien und lassen sich unendlich fortsetzen. Die Auswahl ist nur ein kleiner und verhältnismäßig milder Auszug von dem, was sich im Netz abspielt. Spott, Häme, Beleidigungen sind im virtuellen Raum an der Tagesordnung. Ein nichtiger Anlass reicht oft aus, und Wut entlädt sich verbal und hasserfüllt. Die Angriff e gipfeln in Morddrohungen und sogar in Mordplänen, wie das Beispiel von Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zeigt. In einer Telegram-Chatgruppe wurden konkrete Mordpläne gegen Kretschmer und weitere Politiker geschmiedet. Zu Angriff en in den sozialen Plattformen kommt es auch in Coburg und Umgebung. Der COBURGER hat sich umgehört.

Eines Tages hat es ihm gereicht. Das Maß war voll, lange genug hatte er zugeschaut. Doch als der damalige EU-Präsident Jean-Claude Junker im Netz als A****l*** bezeichnet wird, greift der Neustadter Stadtrat und Rechtsanwalt Wolfram Salzer ein. Er erstattet Anzeige bei der Coburger Staatsanwaltschaft gegen zwei Männer wegen Beleidigung. Denn Beleidigungen dieser Art, noch dazu gegen Politiker, meint Salzer, gehen zu weit. Doch damit endet die Geschichte nicht, sondern sie nimmt richtig an Fahrt auf.

Nachdem die beiden Beschuldigten aus den Akten entnehmen, wer sie angezeigt hat, legen sie im Netz richtig los: Denunziant, Meldemuschi, Schwein und noch einige andere nicht druckreife Begriff e sind es, mit denen der Neustadter Anwalt tituliert wird. Das lässt Salzer nicht auf sich sitzen und zeigt die beiden Männer wegen Beleidigung an. Er gibt ihnen eine Chance: Wenn sie sich entschuldigen und 500 Euro an Pro Asyl spenden, lasse er die Anzeige fallen. Pro Asyl hat er gewählt, da die Männer laut ihrem Account und ihrer daraus ersichtlichen politischen Einstellung eher kontra Asyl gestimmt seien, so Salzer. Einer der beiden Männer nimmt den Deal an, der andere nicht. Es kommt zur Anzeige und Salzer gewinnt den Prozess. Es wird ein Strafbefehl wegen Beleidigung über 1600 Euro erlassen.

Beleidigung, Hass, Häme und Lachsmileys unter ernsten Themen sind bei Facebook und Co. weitverbreitet. Bei Beleidigung sieht Salzer eine Grenze überschritten, und er rät in diesem Fall unbedingt zur Anzeige. „Die Anzeige soll aber nicht bei Facebook, sondern bei der Staatsanwaltschaft erfolgen.“ Anders sieht Salzer das bei Hass und Häme, da das keine Straftaten seien, müssen sie Salzers Meinung nach auch nicht aus dem Netz verschwinden. Außerdem seien die Nutzer der Foren in der Regel selbst in der Lage, Häme und Hass zu erkennen und einzuschätzen.

„Wer Hass und Häme verteilt, entlarvt sich doch selbst“ Wolfram Salzer, Rechtsanwalt

Politiker, Journalisten, Menschen des öffentlichen Lebens und ganz normale Bürger können im Netz schnell zur Zielscheibe von Angriff en werden. Manchmal reicht ein nichtiger Anlass, ein gepostetes Bild, ein unbedachter Kommentar, um einen Shitstorm auszulösen. Wer seine Meinung kundtut, Stellung bezieht, muss mit heftigem Gegenwind rechnen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach erntet für seine Aussagen zur Pandemiebekämpfung regelmäßig Hasstiraden und Morddrohungen. Seine Schreibtische seien voll mit Anzeigen und Ermittlungsverfahren, schreibt er auf Twitter. Gemessen an dem Ausmaß, was bundesweit bekannte Prominente im Netz erfahren, geht es im Coburger Land noch ruhig zu: Als Radio Eins Studioleiter Thomas Apfel auf seinem privaten Account offensiv für die Corona-Impfung wirbt, verliert er nicht nur einige Facebookfreunde, sondern erhält auch anonyme Beleidigungen und Drohungen. Als ein Coburger Kreisrat sich im Namen aller ehrenamtlichen Politiker gegen die Verleumdung wehrt, dass alle Politiker Verbrecher und Lügner seien, steht er im Fokus weiterer Angriffe.

„Dann gehen wir mal beim Bürgermeister zuhause vorbei“

Auch Coburgs Oberbürgermeister Dominik Sauerteig bekommt in den sozialen Medien einiges ab, schriftlich, als Sprachnachricht und teilweise unfl ätig, sagt Pressesprecher Louay Yassin. Immanente Drohungen seien dabei, etwa: „Dann gehen wir mal beim Bürgermeister zu Hause vorbei“ oder „Wenn der mir mal nachts begegnet.“ Explizierte Morddrohungen habe Sauerteig bisher nicht erhalten. „Als Politiker wird man leider immer wieder persönlich angegriffen, selbst für Dinge, die man nicht zu verantworten hat.

Die Hemmschwelle bei der Anonymität der ‚sozialen Medien’ ist bedauerlicherweise oft sehr gering. Da muss man als bewusst auch online ansprechbarer OB drüberstehen können,“ sagt Sauerteig. Bei Drohungen und Morddrohungen sei für ihn definitiv die Grenze überschritten. „Wenn dieser Grad erreicht werden sollte, gibt es nur einen Weg, die konsequente Strafverfolgung.“ Morddrohungen seien glücklicherweise eher die Ausnahme als die Regel, sagt Polizeihauptkommissar Stefan Probst von der Polizeiinspektion Coburg. „Solche Drohungen werden von der Polizei sehr ernst genommen, um mögliche Gefahren für die Betroff enen abzuwehren.“ Hier werde ein besonderes Augenmerk auf die
Ernsthaftigkeit der Drohung gelegt.

„Beleidigung und Bedrohungen stellen eine Straft at nach dem Strafgesetzbuch (StGB) dar. Diese Straftaten können Betroffene bei jeder Polizeidienststelle zur Anzeige bringen.“ Stefan Probst, Polizeihauptkommissar Polizeiinspektion Coburg, Sachbereich Einsatz/Öffentlichkeitsarbeit

Täter hinterlassen im Netz Spuren

Nach der Erstattung einer Strafanzeige ermittele die Polizei und gehe repressiv und Gefahren abwehrend gegen die Täter vor, so Probst. Generell rät die Polizei dazu, private Bilder, Videos oder Handynummern niemals öffentlich zu zeigen. Zum Selbstschutz sollte man auf einschlägige Nachrichten nicht reagieren und sich nicht auf eine Diskussion einlassen. Das gelte vor allem für Kinder und Jugendliche. Täter hinterlassen im Netz immer Spuren. „Oft reicht ein Screenshot oder ein Foto des Bildschirms aus, um Beweise zu sichern“, so Probst. Natürlich hat jeder auch die Möglichkeit, Nutzer im Netz zu blockieren.

Vor allem Kinder und Jugendliche sollten sich jemandem anvertrauen, etwa den Eltern, Klassenlehrern, Geschwistern oder Freunden. Wenn eine Straft at vorliegt, sollte diese zur Anzeige gebracht werden. Bundesverfassungsgericht stärkt die Persönlichkeitsrechte von Politikern Grünen-Politikern Renate Künast hat gegen ein Urteil des Amtsgerichts Berlin Berufung eingelegt und gewonnen. Nach Auffassung des Berliner Amtsgerichtes nämlich sollte die Politikerin Titulierungen wie „Stück Scheiße“ oder „geisteskrank“ hinnehmen. Künast legte Berufung ein und bekam vom Bundesfassungsgericht letztendlich recht. Die Verfassungsrichter hoben das Urteil der Berliner Zivilgerichte auf und stärken damit die Persönlichkeitsrechte von Politikern.

Dass eine Beleidigung im Netz sehr teuer werden kann, zeigt der Fall von Wolfram Salzer. Nachdem der Beschuldigte zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen á 40 Euro verurteilt wurde, legte er Berufung gegen das Urteil ein. In der Hauptverhandlung am Amtsgericht in Coburg erklärte ihm die Richterin, dass das Strafmaß noch höher ausfallen könnte. Aufgrund der Beweislage könne er nämlich nicht mit einem Freispruch rechnen. Daraufhin hat der Beschuldigte den Einspruch zurückgenommen und die 1600 Euro gezahlt.

Cybermobbing tangiert viele Straftatbestände Zum Beispiel:

  • Beleidigung
  • üble Nachrede
  • Verleumdung
  • Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
  • Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen
  • Nötigung
  • Bedrohung
  • Gewaltdarstellung

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