Verziehrung

HIER WOHNTE… #19

…COBURGS ERSTER IMMOBILIENSPEKULANT

Ohne ihn wäre Coburg um ein paar imposante Villen ärmer. Und wirklich jeder kennt sie, seine eindrucksvollen Gebäude. Sie entstanden im ausgehenden 19. Jahrhundert an vielen prominenten Knotenpunkten bürgerlichen Lebens – vom Jugendstil beeinflusste Bauten aus Backstein und Sandstein. So wie das in der Bahnhofstraße 17 in Coburg.

Die Rede ist von Carlo Otto Leheis. Er schwang Zeichenstift und Mörtelkelle gleichzeitig und erschuf dabei Villen, die wortwörtlich die Bedeutung des aufkommenden Bürgertums in der Vestestadt in Stein meißelten. Und er war ausgesprochen fleißig. In den Jahren von 1896 bis 1904 ließ er an die 30 Häuser im gesamten Stadtgebiet errichten. Von der Alexandrinenstraße über die Marienstraße bis hin zur Lossaustraße, der Löwenstraße und dem Weichengereuth. Seine Villen prägen bis heute das Stadtbild und sind allesamt denkmalgeschützt. Obwohl: Villen im engeren Sinne waren die meisten Bauten gar nicht. Der Eigentümer selbst wohnte nicht darin. Leheis konzipierte seine Objekte von Anfang an als Mietshäuser für gehobene Ansprüche. Seine Idee war es, durch den Verkauf dieser villenähnlichen Gebäude das nächste zu finanzieren.

Mit Ausnahme der Bahnhofstraße 17. Hier richtete sich der Architekt im Erdgeschoss sein Büro und seine Wohnung ein. Damals war es schick, an einer belebten Straße zu wohnen. Man sah gerne auf vorbei Flanierende und konnte hin und wieder einen Blick auf die Gäste des Herzogshauses – vom Bahnhof kommend – erhaschen. Dumm nur für Leheis, dass auf dem damaligen Grundstück auch die wenig glanzvollen Lager für sein Baugeschäft Platz haben mussten. Aber selbst dafür hatte Leheis eine Lösung parat: Das Haus wurde so geplant, dass es das unschöne Hintergebäude verdecken würde. Und das alles auf sage und schreibe nur knapp 740 Quadratmetern Grundstück. Bemerkenswert. Ein so üppiges Gebäude mit einer Grundfläche von fast 200 Quadratmetern zielgenau einzupassen zwischen vorbei fließender Itz und belebter Bahnhofsstraße. Damit machte der Bauherr auf sich aufmerksam und ganz nebenbei noch ein bisschen Werbung für sein Architekturbüro. Dazu passte dann auch der städtische Auftrag zum Neubau der Hohenlohebrücke in der Bahnhofstraße – direkt vor der neu gebauten Villa. Weil die Verbreiterung und Verstärkung der ehemaligen Holzbrücke durch den aufkommenden Verkehr notwendig wurde, bekam die Überfahrt über die Itz ein Korsett aus Eisenträgern. Die Steinarbeiten führte die Firma Leheis aus. Praktisch. Und bei der feierlichen Einweihung der Brücke im Oktober 1901 standen die Coburger allesamt vor dem eben erst errichteten Mietshaus mit dem herrschaftlichen Antlitz. Auch von Marketing verstand er etwas, dieser Carl Otto Leheis.

Er kaufte weitere Grundstücke. Er baute weitere Häuser. Große, herrschaftliche Gebäude. Mit Details aus den verschiedensten Bauepochen. Baumeister Leheis rühmte sich damit, Bauten in jeder Stilrichtung planen zu können. Hier ein bisschen Gotik, da ein bisschen Renaissance – zusammen ergab das wunderbare Fassaden mit hübschen Details. Verstreut über das ganze Stadtgebiet hat der gebürtige Plauener gewerkelt. Und das nicht allein. Man kann davon ausgehen, dass Leheis – sehr modern – schon zahlreiche Subunternehmer beschäftigt hatte, die sich auf die verschiedenen Baustile spezialisiert hatten. Nur so kann man die enorme Bautätigkeit dieser Jahre erklären. Und es waren ja allesamt weder kleine noch unaufwändige Bauten. Bis hin zum einzigen wirklichen Jugendstilgebäude Coburgs in der Alexandrinenstraße – die Coburger nennen es aufgrund des einladenden Gestirns unterm Westgiebel schlicht „Sonnenhaus“. Aber auch hier trügt der Schein. Denn alles Jugendstilhafte beschränkte sich allein auf die Fassade. Innen ist das Haus konventionell aufgeteilt. Zweckdienlich. Schließlich sollte auch dieses Prachtstück ehedem wieder verkauft werden. So der Plan. Doch die Investition ging nicht auf. Otto Leheis baute und baute. Aber es fanden sich nicht schnell genug Käufer mit entsprechend großen Geldbeuteln. So geriet der schöne Plan ins Wanken, mit dem Erlös aus dem Verkauf des einen Hauses das nächste zu finanzieren. Schließlich deckten die Miteinnahmen bei weitem nicht die Summen, die er investiert hatte. Es kam wie es kommen musste: Otto Leheis ging pleite. Sein ganzer Besitz musste zwangsversteigert werden. Selbst sein Sägewerk im Hahnweg und der Steinbruch in Weißenbrunn am Forst. Alles verlor der geniale Planer und Architekt, der den Anblick Coburgs mit seinen Fassaden nachhaltig prägte und bis heute prägt. Nach und nach ging sein Besitz verloren und als im Jahre 1907 auch noch sein Wohnhaus in der Bahnhofsstraße unter den Hammer musste, hielt ihn nichts mehr. Mittellos verließ er mit seiner Familie im September die Stadt. Nie mehr fasste er geschäftlich Fuß. Er zog als Arbeiter und Zeichner rastlos durch Deutschland und verstarb schließlich im November 1921 in der Nähe von Schleiz auf einem Bahnhof. Vermutlich an Herzversagen.

Schön zu wissen, dass die meisten seiner Villen bis heute in guten Händen sind. Liebevoll saniert und: egal ob als Mietwohnungen oder Geschäftsetagen: voller Leben. Mitten in Coburg.

Autorin: Heidi Schulz-Scheidt

Bildquelle: Val Thoermer

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