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HIER WOHN(T)EN… #40

… Coburger

Kein Land der Welt wollte die 937 Passagiere der St. Louis im Frühsommer 1939 ins Land lassen. Ihnen eine Zuflucht vor dem sicheren Tod in Deutschland gewähren, das Leben retten. 937 deutschen Juden, die dem NS Regime entkommen wollten, um in Kuba ein neues Leben zu beginnen. Ihr Schiff musste nach Europa umkehren. Ein Jahr zuvor hatte die St. Louis noch in New York anlegen dürfen. An Bord auch Horst Plessner aus der Mohrenstraße 9B in Coburg.

von Heidi Schulz-Scheidt
Fotos: Val Thoermer

Die Irrfahrt des Schiffes ein Jahr nach der glücklichen Flucht von Horst Plessner sorgte mit seiner Dramatik letztes Jahr sogar für den Stoff eines Fernsehfilmes. Die jüdischen Flüchtlinge wähnten sich bereits in Sicherheit, als sie allesamt mit gültigen Papieren der US-Einwanderungsbehörden in Hamburg auf der St. Louis eincheckten. Mit dem Ziel Kuba vor Augen und der Aussicht auf ein sicheres Leben ohne Angst auf einem anderen Kontinent. Doch in der Karibik begann die Flucht zu scheitern. Das Schiff erhielt nirgends eine Anlegeerlaubnis. Der deutsche Kapitän bat sogar den amerikanischen Präsidenten Roosevelt persönlich um Hilfe. Doch auch der versagte dem Schiff auf Druck aus der eigenen Partei das Anlegen. Ebenso erging es dem Kapitän in Kanada, so dass die St. Louis im Juni 1939 wieder Richtung Europa umkehren musste. Man mag sich die Ängste und die nervenaufreibende Ungewissheit der Passagiere, die nach der Reichsprogromnacht in Deutschland den Entschluss zur Flucht aus der Heimat fassten, gar nicht vorstellen. Schließlich setzte die belgische Regierung der Irrfahrt ein Ende und ließ die Passagiere in einem Akt der Menschlichkeit in Antwerpen an Land. Leider nur das vorläufig glückliche Ende der Flucht, denn 254 der Geretteten erlebten das Kriegsende nicht mehr.

Horst Plessner blieb dieses Schicksal erspart. Er erreichte mit dem Schiff den Hafen von New York. Die Eltern aber musste er in Coburg zurücklassen, nicht wissend, welches grausame Schicksal diese knapp zwei Jahre später ereilen würde. Das Leben in der Heimat wurde den Plessners, wie allen jüdischen Familien im Dritten Reich, immer unmöglicher gemacht. Geschäftsboykotte jüdischer Kaufleute waren an der Tagesordnung, ungerechtfertigte Verhaftungen und Misshandlungen, Einschränkungen im sozialen Leben der israelitischen Gemeinde bis hin zu Zwangsräumungen der Wohnungen. Die jüdischen Mitbürger mussten viel ertragen. Kurz bevor Horst Plessner von seinem Vater Alfred nach Hamburg gebracht wurde, um auf der St. Louis in Richtung neue Freiheit aufzubrechen, wurde der Familie die Wohnung in der Mohrenstraße 9B gekündigt. Schwer vorstellbar, dass die sonnendurchflutete Wohnung im 2. Stock mit dem herrlichen Erker Sitzplatz auf die Mohrenstraße hinunter damals im Mittelpunkt einer solchen Familientragödie stand. Als es Ariern und Nichtariern nicht mehr erlaubt war, in einem Haus zusammen zu leben. Die einst lebendige jüdische Gemeinde bestand nur noch aus wenigen Mitgliedern. Coburg galt im Jahr 1942 als „judenrein“. Und es kam noch schlimmer. Die letzten Mitbürger wurden ab November 1941 mit drei Transporten deportiert in den sicheren Tod. Darunter auch das Ehepaar Alfred und Marga Plessner. Ermordet in Riga am 27. November 1941.

Für den Sohn Horst endete die Flucht aus Nazi-Deutschland glücklich. Er durfte in New York tatsächlich an Land gehen, denn er konnte eine Bürgschaftserklärung eines ausgewanderten Verwandten vorweisen. Wer diese nicht hatte, konnte selbst nach erfolgreicher Flucht mithilfe einer Atlantiküberquerung von der amerikanischen Einwanderungsbehörde noch ausgewiesen werden. Aus Dankbarkeit und aus Freude über die erlaubte Einwanderung in die neue Heimat änderte Horst Plessner daraufhin seinen Namen in Howard um. Er und sein Bruder Wolfgang, der die Atlantiküberquerung auf einem Öltanker geschafft hatte, haben das Grauen überlebt, ihre Eltern verloren und in den USA eigene Familien gegründet. Es gibt also Enkel und Urenkel von Alfred und Marga Plessner. In ihnen leben sie bis heute weiter. Die Coburger aus der Mohrenstraße 9b.

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Häuser, die mit Unterstützung der Gemeinschaft Stadtbild Coburg e.V. saniert worden sind – der COBURGER stellt sie vor: 2020 in jeder Ausgabe des COBURGER eines in unserer Reihe „Hier wohnte“.

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