Hier wohnte… #45

…ein sturer Müller

Ein verwitterter, moosbedeckter Grenzstein von 1706 gibt einen ersten kleinen Hinweis auf die exklusiven Freizeitbeschäftigung, der hier nachgegangen wurde. Rund herum in dichten Rodacher Wäldern. Und im Namen der nahe gelegenen Mühle, deren Rad sich hier einst drehte, versteckt sich ein weiterer Hinweis, auf welche kapitalen Tiere privilegierte Sportler bis ins 19.Jahrhundert aus waren. Versteckt am Ende einer Sackgasse liegt idyllisch zwischen Pferdekoppel und Wiesengrund ein fast unbekanntes Kleinod weit außerhalb der Stadtmauern: die Hirschmühle.

Ob sie ihren Namen tatsächlich von den stattlichen Waldbewohnern hat, die hier lebten, ist nur eine Vermutung. Eine sehr naheliegende. Dass Herzog Ernst II. ein begeisterter Jäger und Schütze war, ist eine Tatsache. Die herzogliche Familie ließ sich schließlich mitten in der Stadt ein Jagdschloss bauen, um ihrer exklusiven Freizeitbeschäftigung nachzugehen. Aufwändige Reisevorkehrungen mussten immer dann getroffen werden, wenn sich die Herzogsfamilie nach Rodach aufmachte. Das Schloss musste hergerichtet und die Wege dorthin passierbar gemacht werden. Die Erfolge solcher Jagdgesellschaften allerdings waren bis zur Revolution 1848 ausschließlich dem Adel und Großgrundbesitzern vorbehalten. Wildbret jedenfalls stand nicht auf dem Speiseplan des Hirschmüllers. Dennoch erhielt die Mühle diesen Namen.

Der besagte Jagdgrenzstein vor der Hirschmühle allerdings ist lange nicht so alt wie das älteste Gebäude auf dem Anwesen, die Scheune steht bereits seit dem 18.Jahrhundert. Die Anfänge der Hirschmühle sind sogar noch älter. In der Stadtchronik findet sich die Geschichte vom „Rodacher Galgensteit“. Hauptsächlich beteiligt: Neun Müller in und um Rodach herum. Namentlich auch der Hirschmüller. Es geschah im Winter des Jahres 1592, als der Galgen an der Abzweigung zur der Heldburger Straße nach Gauerstadt in einer Sturmnacht zusammenbrach.

Nun war es im Mittelalter üblich, dass die Betreiber der anliegenden Mühlen dazu verpflichtet waren, beim Galgenbau mitzuhelfen. So sollte also auch der Hirschmüller seinen Teil zum Wiederaufbau leisten. Die Rodacher Zunft aber wehrte sich gegen diese Aufforderung und erklärte, dass lediglich das Zurichten der Balken ihre Aufgabe sei, nicht aber der Transport und das Aufrichten. Das nämlich sollten gefälligst die Bürger übernehmen. Es entbrannte ein heftiger Rechtsstreit. Sogar Herzog Casimir im fernen Coburg schaltete sich ein und ließ die bockigen Müller ins Gefängnis werfen. Da keine Partei nachgab, waren mittlerweile schon eineinhalb Jahre seit der Sturmnacht vergangen und noch immer waren die Rodacher ohne einen Galgen. Auch eine Verhandlung vor Ort brachte keine Einigung. Die Müller blieben stur. Da blieb Herzog Casimir nichts anderes übrig, als ein Machtwort zu sprechen und die Müller an ihre Verpflichtung zu erinnern, dass die Errichtung eines Galgens ein feststehendes Recht ist. Nach fast zwei Jahren gaben die Rodacher Müller endlich auf und zimmerten einen neuen Galgen, den sie dann natürlich auch noch transportieren und aufstellen mussten.

Obwohl die Mühle aufgrund ihrer Wasserkraft zu den rentabelsten in der Gegend gehörte, wechselten hier oft die Besitzer. Bis 1977 war sie noch in Betrieb. Bis heute besteht der Abzweig der vorbei fließenden Rodach in den Hirschmühlgraben, der das Mühlrad bewegte. Alteingesessene Rodacher werden den letzten Müller Treuter noch gekannt haben, der seine Backwaren in der näheren Umgebung ausfuhr. Manch ein Rodacher hat auch den Weg hier heraus gefunden, um sein noch warmes Brot in Empfang zu nehmen. Heute befindet sich hier am Hirschmüllersweg 3 ein kleines Paradies. Wo sich einst das Mühlrad drehte ist eine hübsche Pension mit einer Ferienwohnung entstanden. Hier wohnt die Eigentümerin Eva-Maria Czwielong mit ihrem Mann, ihrer Mutter und den Tieren mitten in der Natur. Der Dreiseithof mit Fachwerkgebäuden, Ställen und der Scheune lädt Kurzurlauber, Wanderer und Fahrradfahrer ein. Man sehnt förmlich das Ende der derzeitigen Reiseeinschränkungen herbei. Endlich wieder sein Frühstück am leise plätschernden Mühlgraben einnehmen können und diesen besonderen Ort kennenlernen.

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