Ein ungewöhnliches Gebäude an einem markanten Platz. Und sogar Teil des mittelalterlichen Befestigungsringes. Mit Spitzbögen, Giebel, Zinnen und Türmchen ein Hingucker aus den verschiedensten Blickwinkeln. Der Bauherr jedoch war nicht adelig, wie man vermuten könnte. Er war Konditor und baute sich seine Wohnburg mitten auf den Albertplatz.

Ganz getreu dem Motto: Da schaut her! ließ sich Konditormeister Rudolph Weiß 1860 auf der alten Stadtmauer ein dreigeschossiges Wohnhaus planen. Und als krönenden Abschluss einen fünfgeschossigen Wohnturm mit Vesteblick. Ein bauliches Ausrufezeichen und Sinnbild für ein aufstrebendes Bürgertum. Ein selbstbewusstes Statement in Form eines stattlichen Anwesens, das über viele Generationen weitervererbt werden kann. Bei der Suche nach einem Nachfolger für sein süßes Imperium in den 1920er Jahren bot Rudolph Weiss seinem namensgleichen Neffen an, bei ihm eine Bonbonkocherlehre zu beginnen. Eigentlich wollte der junge Rudolph in Berlin Architektur studieren. Aber die Baubranche lag nach dem 1.Weltkrieg darnieder und so tauschte er das Reißbrett mit der schweißtreibenden Arbeit am Kupferkessel. Dort ließ er sich von seinem Onkel einführen in die Geheimnisse des Bonbonkochens und beerbte diesen nach seiner Ausbildung.

Im 1.Stock der Wohnburg wurden, entgegen der ersten Planung, bis zuletzt die süßen Naschereien hergestellt. In der Hexenküche, wie der Raum mit der großen Esse genannt wurde, kochte in blank gescheuerten Kupferkesseln die mit Aromen angereicherte Bonbonmasse. Der absolute Renner waren die allseits beliebten Glühweinbonbons. Der Beutel für 20 Pfennige. War die Masse auf 180 Grad erhitzt, wurde sie auf einen Marmortisch gegossen. Hier kneteten die Bonbonmacher den Klumpen mit dicken Lederhandschuhen zu einer zähen Konsistenz, bis er sich in Streifen ziehen ließ. Dann wurden die Zuckerstränge mit einer Bonbonschere durchgeschnitten und landeten in den kunstvoll verzierten Walzen der Prägemaschine. Am Ende steckten die Süßigkeiten als Himbeeren, Bienen oder Sonnenschirme getarnt in ihren Verpackungen. Aber nicht nur Leckereien wurden beim Bonbon-Weiss hergestellt. Man kümmerte sich auch um die kleineren Zipperlein der werten Kundschaft in Form von Spitzwegerich- und Honigmischungen: „Wird dein Husten bös und böser, dann nimm Weisssche Hustenlöser“. 

Verkauft wurden die Süßigkeiten im hauseigenen Geschäft im Erdgeschoss des Gebäudes. Ausgeliefert wurde bis nach Thüringen, vom Chef höchstpersönlich in seinem aus den USA importierten Chevrolet-Kombi. Auf einer seiner Verkaufstouren muss er dabei auf die hübsche Tochter des Kolonialwarenhändlers Karl Westhäuser aus Streufdorf Eindruck gemacht haben. Wenig später wurde nämlich geheiratet und ab diesem Zeitpunkt stand Maria Weiss hinter der Theke und holte die bunt gestreiften Süßigkeiten aus den Bonbongläsern am Albertsplatz. Bis ins Jahr 1975 wurde an diesem Platz produziert, dann endete die Geschichte des Unternehmens. Heute beherbergt die ehemalige Bonbonfabrik ein Café, eine Physiotherapiepraxis, und zehn hochwertig ausgestattete Wohnungen. Eine hat sich der jetzige Besitzer Werner Weiss nach seinen Vorstellungen renovieren lassen. Schmuckstück der schicken Stadtwohnung: ein viktorianischer Wintergarten. Das zweite Wohnzimmer hat eine Frankfurter Spezialfirma gebaut nach den Vorgaben des Besitzers. Der hat nun einen wunderbaren Blick auf den Albertsplatz und die Lutherschule. Augenzwinkernd verrät er, dass er, seinen Kaffee am Vormittag zu sich nehmend, eigentlich immer die gleichen Leute sieht. Alles geht seinen Gang.

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