Hier wohnten … #56

… Kunstinteressierte

Lange ist es her, dass Coburger Bürger bei schönem Wetter in Scharen an dem Straßenzug zwischen Schlachthofstraße und Judengasse entlang spazierten. Auf dem Fußweg zu einem Ausflugslokal an der sich durch Wiesen und Äcker schlängelnden Itz entlang oder einfach nur auf der Suche nach Erholung in der Natur nach einer anstrengenden Arbeitswoche. Und weil im 18./19. Jahrhundert allein der Sonntag ein arbeitsfreier Tag war, wurde dieser Straßenzug konsequenterweise Sonntagsanger genannt.

Vor allem als die vielen historistischen Villen am Neuen Weg neben der Werrabahn entstanden, erfuhr dieses Viertel einen wahren Baumboom. Links und rechts mit Linden bepflanzt avancierte das, was die meisten nur als Stadtautobahn kennen, in früherer Zeit zur „Chaussee“ – das perfekte Bild einer romantischen Kleinstadt musste sich damals allen Anreisenden per Pferdekutsche, per Bahn oder später per Auto geboten haben – Vesteblick inklusive. Mit der Pracht war es spätestens 1970 vorbei, als die Linden zugunsten des Baus der Stadtautobahn gefällt werden mussten.

Der Sonntagsanger auf der anderen Seite wurde hauptsächlich unter Bernhard Brockhardt entwickelt, der viele Grundstücke an der Itz entlang erwarb und in den 1890er Jahren bebaute. Die Brockhardtbrücke über die Itz in Richtung Innenstadt zeugt bis heute von der Bedeutung dieser Coburger Baumeisterdynastie. Schon früher müssen Bewohner des Sonntagsangers 10 die idyllische Lage an der Itz und die kunstvolle Ausstattung der Innenräume geschätzt haben. Im Adressbuch aus dem Jahre 1918 findet sich der Name Elise Rasch, Witwe des Kunstmalers Heinrich Rasch. Der deutsch-dänische Künstler war ein bedeutender Vertreter der Münchner Schule und schuf zu Lebzeiten hauptsächlich Landschaftsbilder. Er verstarb 1913 in Coburg.

Heute gehört eine dieser Villen am Sonntagsanger Familie Jülich. Im 1.Stockwerk der Doppelhaushälfte ist auf 120 Quadratmetern eine Ferienwohnung entstanden, die ihrem Namen alle Ehre macht: die Bel Étage. In den beiden Schlafzimmern in Richtung Straße hinaus steht ein 300 Jahre alter, massiver Dielenschrank aus dem Familienbesitz, in den man heutzutage ob seiner gewaltigen Ausmaße seinen ganzen Hausstand unterbekommen würde. Und über dem Baldachin des Doppelbettes schon der nächste Hingucker. Bei der Restaurierung der Decken entdeckte Arne Jülich eine auffällig bunte Farbschicht, die er vorsichtig abschabte.

Der aus Bamberg hinzu gerufene Kirchenrestaurator legte ein Deckengemälde frei, welches nun wieder bewundert werden kann. Auch an einer weiteren Stelle gab es eine schöne Überraschung. Beim Abziehen alter Wandschichten entdeckte der neue Besitzer ein Stück Tapete mit einem auffälligen floralen Muster. Nachforschungen ergaben, dass diese Ähnlichkeit hatte mit Designerstücken aus der englischen „Arts and Crafts Movement“. Den Vertretern dieser Bewegung war vor allem die Rückbesinnung auf das Handwerk und eine Auseinandersetzung mit dem Material wichtig. Die Stoffe und Tapeten des bekannten Designers William Morris gehören bis heute zu den beliebtesten Motiven bei Heimtextilien in Großbritannien.

Nicht ausgeschlossen, dass über die Verbindung des Coburger Herzogshauses mit dem englischen Königshaus Tapeten, Stoffe und Ideen den Weg nach Oberfranken gefunden haben. Die Pracht früherer Zeiten, die sich heute noch ein bisschen erahnen lässt, wenn man genauer hinsieht, lässt sich natürlich nicht wiederherstellen. Dass das Quartier entlang der ehemaligen Werrabahn einen Aufschwung erleben wird, da ist sich Arne Jülich sicher. An vielen Ecken wird derzeit renoviert. Nicht zuletzt das Globe wird ein neuer Besuchermagnet in der Gegend. Ein Anfang ist gemacht.

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