Hier wohnten … #58

… streitlustige Einheimische

Einerlei, ob der Name sich nun auf ein mundartlich „Kuh“ genanntes Gefängnis am Rande der Altstadt bezieht, auf die kuhfinstere Enge der Gasse oder doch eher hinweist auf einen der Viehmärkte, die in dieser Gegend regelmäßig abgehalten wurden. Nichts Düsteres haftet dem fast 400 Jahre alten Fachwerkgebäude in der Kuhgasse mehr an. Im Gegenteil – das Handwerkerhaus am schmalen Durchgang zwischen Albertsplatz und Ketschengasse schaut freundlich-hell in beide Richtungen. Also hinein und hinaus aus der Stadt.

Queen Viktoria war es zu verdanken, dass der Coburger Säumarkt nach dem Tod ihres geliebten Mannes im Dezember 1861 vom Magistrat zum Albertsplatz umbenannt wurde. Gegen die Aufstellung eines Denkmals für den ruhmreichen Coburger an dieser Stelle, wo Schweine gehandelt wurden, verwehrte sie sich jedoch. Sie wünschte sie einen repräsentativeren Standort, den die Stadtoberen mit dem Marktplatz dann auch schnell fanden.

Aber auch der Säumarkt verschwand zu dieser Zeit und wurde in die untere Ketschengasse verlegt. Jeden Samstag boten Händler ihre Ferkel hier zum Verkauf an. In Huckelkörben brachten die Viehhändler ihre lebendige Fracht in die Stadt. Meist kauften Privatpersonen die Tiere, um sie aufzuziehen und später mit einem Schlachtfest ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen. So weit, so gut. Allerdings gab es ein paar streitbare Ketschengassler, die diesen Markt am liebsten ganz verschwinden lassen wollten. Sie waren das markerschütternde Schreien der Tiere, den Gestank und die Verschmutzung ihrer Wohnstraße Leid und schrieben immer wieder Beschwerdebriefe an den Magistrat. Aber auch die Gegenseite meldete sich zu Wort.

Gewerbetreibende, die ihre Waren an diesen Markttagen anboten, würden ihrer Existenzgrundlage beraubt, sollte die Stadt den Viehmarkt tatsächlich verbieten wollen. Ein jahrelanger Briefwechsel zwischen Befürwortern und Gegnern hielt auch die Stadtverwaltung in Atem. Immer neue Argumente tauchten auf, die hygienischen Umstände, die Verbreitung von Krankheiten, die Verunstaltung der neu gepflasterten Ketschengasse. Die Argumente schienen nicht auszugehen. Da beschloss der Magistrat im Jahre 1910 tatsächlich, den Markt probehalber auf den Platz vor der Alten Angerturnhalle zu verlegen und verfügte zur Beschwichtigung der aufgeheizten Gemüter sogar noch, dass Besucher die Toiletten der Turnhalle nutzen dürften.

Aber es stellte sich keine Frieden ein in der „Säufrage“. Ein tatkräftiger Polizeibeamter, der eines Samstags die Aufsicht des Marktes führte, erkannte bei Dienstbeginn, dass die Fläche vor der Angerturnhalle tatsächlich zu klein und der morastige Boden nicht geeignet für das Handeln von Vieh ist. Kurzerhand verlegt er den Markt eigenmächtig zurück in die Ketschengasse – die Stadtverwaltung fasste im Nachhinein einen entsprechenden Beschluss und so fand der Säumarkt ein paar Wochen später wieder innerhalb der Stadtmauern statt. Hier blieb er dann auch bis zum Jahre 1939, bis er auf das Gelände des Schlachthofes verlegt wurde.

Ein über 30 Jahre lang währender Streit fand sein Ende. Heute erinnert nur noch der Säumarktbrunnen an der Einmündung zur Kuhgasse an diese Provinzposse. Nach der Umgestaltung der Ketschengasse zum Wohn- und Geschäftsviertel erlebte das ganze Quartier eine enorme Aufwertung. Unvorstellbar scheint die Zeit, als genau an dieser Stelle quiekende Ferkel feil geboten wurden. Heute ist das Fachwerkhaus in der Kuhgasse 1 ein echter Hingucker – innen wie außen. Nicht umsonst nennen es die Besitzer, die hier eine Ferienwohnung auf zwei Etagen eingerichtet haben, „Stadtjuwel“. An das alte Gebäude aus dem 17. Jahrhundert haben bereits die Vorbesitzer einen Anbau errichtet, der dem Gebäude eine große Tiefe und, dank der Fensterfront, eine freundliche Helligkeit gibt. Sogar eine kleine Terrasse ist entstanden. Wohlfühlatmosphäre für Gäste mitten in der Stadt. Ganz hell, ganz modern, ganz friedlich.

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