Karl Heinz Brandenburg

MP3 Erfinder #17

Karl Heinz Brandenburg

Fast jeder hat mit ihm zu tun. Täglich. Ob gewollt oder ungewollt. Beim Musik hören, bei den Radionachrichten, auf dem Smartphone: mit Professor Karlheinz Brandenburg. Der gebürtige Erlanger hat mit vielen anderen zusammen das Dateiformat MP3 entwickelt. Es komprimiert Audiodaten soweit, dass nur noch die für den Menschen wahrnehmbaren Anteile übrigbleiben. Vor fast 20 Jahren hat das Format seinen Siegeszug um die Welt angetreten. Professor Brandenburg hat es einen Platz in der „Internet Hall of Fame“ und viele andere Anerkennungen eingebracht.  Vor allem aber hat es das Musikhören revolutioniert.

Wenn man 1990 mit einer E-Mail zu einer Besprechung eingeladen hat, hat man noch dazu gesagt, dass das wirklich ernst gemeint ist: Brandenburg über die Anfänge.

Wer früher unterwegs Musik hören wollte, der vertraute einem Walkman. Jahrelang war er ein Symbol für Innovation, Modernität, Mobilität. In einem Walkman befand sich eine Cassette mit einer A- und einer B-Seite. Meistens etwa 90 Minuten Musik, die Länge einer handelsüblichen Durchschnittskassette, 20, 30 Titel. In den Jahren danach versprach der Discman mehr Qualität. CDs waren etwas für Musikliebhaber, perfekter digitaler Sound ohne Störgeräusche. Ein Discman war schick, nicht mehr so klobig wie ein rechteckiger Walkman. Doch CDs waren in ihrer Kapazität beschränkt, sie waren empfindlich, und für die umsichgreifende immer in Bewegung befindliche Fitnessgeneration eher ungeeignet. Dann aber kam die Revolution, Ende der 90 Jahre des 20. Jahrhunderts, und sie kam aus Franken: Mit dem neuen Format mp3 vom Fraunhofer-Institut aus Erlangen trennte sich die Musik von ihrem Trägermedium, sie war nur noch eine Datei, eine kleine Datei, reduziert auf das Wesentliche, auf das, was der Mensch überhaupt nur benötigt, um sie zu verstehen, sie zu hören, sie zu mögen, auf sie zu tanzen, mitzusingen.

Der Revoluzzer hieß Karlheinz Brandenburg, noch ohne den Titel Professor. Damals nämlich war er nur Doktorand in Erlangen, einer von vielen Wissenschaftlern an der renommierten Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und später am Fraunhofer-Institut.

mp3-erfinder-interview

„Das mit mp3 war daher auch nicht meine alleinige Idee, die ich umsetzte, da waren viele Personen im Laufe der Jahre daran beteiligt.“ Sie ehrt ihn, diese Bescheidenheit, „ich habe ja keinen Heiligenschein“, es geht ihm bei aller Anerkennung nicht um Ruhm, es geht ihm um die Wissenschaft, um Forschung, um Technik. Im 90er Jahre Deutsch hätte man ihn vielleicht als „Freak“ bezeichnet, heute als „Nerd“, obwohl er für einen solchen viel zu gesprächig rüberkommt, aufgeschlossen, kommunikativ. Vielleicht war er als solcher ja eben der ideale Ansprechpartner für seinen damaligen Doktorvater. Fasziniert von Technik und mit der Bereitschaft, das Unmögliche möglich zu machen:

Sein Doktorvater nämlich kam in den 1980er Jahren mit der Idee zu ihm, den damaligen ISDN-Telefonstandard für die Übertragung von Musik zu verwenden. Das aber war genau die Herausforderung: Sprache, Bilder oder Videos zu codieren, in ein Datenformat zu übersetzen, das galt damals schon als machbar. Für Musik galt das aber nicht. „Das war der Stand der Technik“ schmunzelt Brandenburg im Rückblick. Genau die richtige Aufgabe für die Doktorarbeit des ambitionierten Forschers. Er denkt das Problem von der anderen Seite her: Was braucht das Gehör eigentlich, um einen Musiktitel wahrnehmen zu können? Dieser Perspektivwechsel ist entscheidend für die Lösung des Problems. Doch es dauert von da an über 10 Jahre bis zur Entwicklung und zur Marktreife des neuen Formats. Viele Forschungsprojekte sind notwendig, Gespräche und Konferenzen mit Forschern auf der ganzen Welt, Kämpfe gegen Großmächte wie Phillips, gegen CD-, Kassetten- und Plattenindustrie, gegen andere Technologien wie die Mini-Disc von Sony. Das Team muss Niederlagen verkraften, sich vom Massenmarkt verabschieden, mp3 – das damals noch MPEG Audio Layer-3 heißt – gilt zeitweise nur als professionelle Anwendung für die Überspielung von Audiodaten zwischen Rundfunkanstalten. Dann aber gewinnt das Internet immer mehr an Bedeutung, und das begreift man als Chance – und nutzt sie. „Ende der 90er Jahre haben wir gemerkt, jetzt geht’s so langsam ab.“ Die ersten Player werden verkauft, die Erfolgsgeschichte schreibt ihre nächsten Kapitel. Dabei ist mp3 3 mehr als einfach nur eine neue Art, Musik zu hören, praktisch, günstig, mobil. mp3 ist „so etwas wie ein Zauberwort, ein Symbol für die Entmaterialisierung der Musik.“ Und mp3 läutet den größten Umbruch in der Musikindustrie ein. Musik wird im Internet geteilt, heruntergeladen, kopiert, verbreitet sich in Windeseile. Alte Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr, neue entstehen.

Der Mathematiker und Elektrotechniker Brandenburg hat auch in den vorübergehenden Jahren des Misserfolgs immer an die Erfindung geglaubt. Er sei wohl auch immer „mit einem großen Stück Optimismus“ herumgelaufen, habe man ihm bestätigt. Man dürfe sich auf solchen Wegen auch nicht von einem „Wen interessiert das denn?“ abschrecken lassen, sagt er. Diese Botschaft vermittelt er auch heute den vielen jungen Menschen, mit denen er als Lehrstuhlinhaber für Elektronische Medientechnik an der TU Ilmenau und als Gründer und Leiter des Ilmenauer Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie zu tun hat. Die Entwicklung nämlich geht weiter, erzählt Brandenburg, der heute mehr als 100 Patente hält.

Er selbst träumt von einem Holo-Deck, ähnlich wie in Raumschiff Enterprise, einer perfekten künstlichen Realität. „An den Virtual-Reality-Brillen merkt man ja, dass sich da viel bewegt hat in diese Richtung.“ Immersion heißt das Fachwort dafür, dieser Begriff beschreibt den Eindruck, dass sich die Wahrnehmung der eigenen Person in der realen Welt vermindert und sich die Identifikation mit einer Person in der virtuellen Welt vergrößert (Wikipedia). Brandenburgs Team in Ilmenau steuert dazu vor allem die perfekte akustische Illusion bei. Und steckt dabei auch in einem ethischen Dilemma, räumt der bei aller Faszination für die Wissenschaft gläubige Protestant ein: „Wenn man das Holodeck zu Ende denkt, will ich manches gar nicht.“ Auch er nämlich lebt gerne im hier und jetzt, trifft sich gerne mit anderen Menschen, und wenn er nicht forscht, geht er wandern, im Thüringer Wald nahe bei seiner Wahlheimat Ilmenau – und er hat auch in seinem Geburtsort Erlangen immer noch eine Wohnung – ganz in der Nähe der Bergkirchweih, wo man ihn alljährlich zu Pfingsten immer mal treffen kann.

mp3-erfinder-portrait

Mitglied der Academia Europaea, Ehrendoktor der Universität Valencia und zweier deutscher Universitäten, Mitglied der „Internet Hall of Fame“ und der „Hall of Fame“ der bedeutendsten Vordenker der Elektrotechnik aller Zeiten, Bundesverdienstkreuz, Deutscher Zukunftspreis u.a.

 

Autor: Wolfram Hegen

Bildquelle: Sebastian Buff

    Hinterlassen Sie ein Kommentar

    8 + zehn =