Auf ein Wort Schriftzug

Auf ein Wort #18

Die Unperfekten

„Einen Scheiß muss ich“ brüllt Tommy Jaud in seinem Bestseller, „Hauptsache, Ihr habt Spaß“ schreit Media Markt in seiner Werbekampagne. Sie wären nicht so erfolgreich mit Ihrer plakativen  Art der Publikumsansprache, träfen sie nicht einen Nerv, wären sie nicht wie ein Ventil für ein tief in der Gesellschaft  bohrendes Unbehagen: Bin ich genug? Bin ich perfekt? Erfülle ich die Norm?

Wir zählen unsere Schritte und Kalorien, wir straffen unsere Lider, wir stählen unsere Muskeln, wir tönen und färben, wir kochen in perfekten Küchen, wir ernähren uns vegan, vegetarisch oder glutenfrei, wir checken unsere Strompreise, wir lassen uns coachen, wir lernen lebenslang, wir tunen, stylen, pimpen – und auch vor unseren Kindern machen wir nicht halt, peitschen sie durch Schule und Studium. Es ist schon paradox: Ausgerechnet eine freie Gesellschaft  hat sich unfrei gemacht, ist Sklave der permanenten Selbstoptimierung.

Eigentlich ist das Streben nach Perfektion aus evolutionärer Sicht sinnvoll. Wer sich am besten anpasst an Lebensbedingungen, hat die besten Überlebenschancen. Das ist in einer modernen Gesellschaft  weniger eine wirklich existenzielle Frage von Leben und Tod, von Fressen oder Gefressen-Werden. Aber es ist eine Frage von Erfolg oder Misserfolg.

Wer gut aussieht, gebildet daherreden kann, gepflegt ist, fit, vital und sexy, wer also alles in allem perfekt wirkt oder zumindest danach strebt, hat größere Chancen auf gesellschaftlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Erfolg, hat zumindest einen leichteren Zugang zu interessanten Optionen. Ob er oder sie was kann oder nicht, ist sekundär.Die Unperfekten haben dagegen gute Chancen, im Mittelmaß zu verschwinden oder gar als Einsiedler oder Außenseiter zu enden. Ob sie was können oder nicht, ist auch sekundär.

Dieses Streben nach Perfektion nämlich hat sich vom gesellschaftlichen Erfolg abgekoppelt. Die Selbstoptimierung hat sich verselbständigt, sich zu einem eigenen Markt entwickelt mit einem großen Versprechen: Wenn Du trainierst, läufst, dich gesund ernährst, faltenfrei bist, schöne Haare ist, das perfekte Styling, wenn Du also das Optimum aus Dir herausholst, wirst Du Erfolg haben, tolle Männer, tolle Frauen, Geld, Anerkennung, Bewunderung, alles in allem: Du wirst glücklich sein.

Eine glatte Lüge. Die permanente Selbstoptimierung ihrer selbst willen macht uns unfrei und unglücklich. Wir unterwerfen uns einem fremdbestimmten Wettbewerb, den wir nicht gewinnen können, weil es immer andere gibt, die erfolgreicher, schöner, reicher sind. Wir werden nicht alle Erfolg haben können, viele werden eben Mittelmaß bleiben oder Außenseiter sein. Na und?

Einen Scheiß müssen wir, Hauptsache, wir haben Spaß.

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