Dem Schimmel auf der Spur #45

Er ist einer der renommiertesten Schimmelexperten in Deutschland: Der Coburger Dr. Wolfgang Lorenz. Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige hat mit seinem Institut für Innenraumdiagnostik deutschlandweit rund 20.000 Wohnungen auf Innenraumschadstoffe wie Schimmel untersucht. Im Gespräch mit dem Coburger gab er einen Einblick in seinen Werdegang, seine Arbeit und seinen großen Erfahrungsschatz. 

Montagmorgen 9 Uhr. Wir treffen uns in seinem Büro in der Mohrenstraße 6 a in Coburg. Wolfgang Lorenz trägt ganz leger Jeans und ein schwarzes Poloshirt. An der Wand hängen drei große Gemälde in dunklen Farben. Ein T-Shirt mit dem Fotoaufdruck des Labradors Oskar ziert die Wand hinter dem Schreibtisch und lockert die Atmosphäre neben all den Fachbüchern auf. Ein großer Besprechungstisch auf einem Perserteppich lädt zum Gespräch ein. Ein Kühlschrank, der wirkt, als sei es ein großer Marshall-Gitarrenverstärker, zaubert Coolness in das kleine Büro. Es ist eine persönliche und gemütliche Atmosphäre.

Man spürt, dass Wolfgang Lorenz angekommen ist. Hier in seiner Heimat. Seit April mit seinem eigenen Büro als Niederlassung seines Institutes in Düsseldorf. Der geborene Coburger wurde in Sonnefeld groß und kam nach vielen Stationen in ganz Deutschland vor zwei Jahren nach Coburg zurück. Mehr zufällig, als geplant.  „Ich habe bei einem Lehrgang eine Sachverständige aus Sonnefeld zufällig getroffen und angesprochen. Ich wohnte damals in Düsseldorf. Es stellte sich heraus, dass sie auf der Suche nach jemandem war, der Schadstoffe untersuchen und mit ihr hin und wieder Aufträge übernehmen könnte. Da ich sowieso öfter in meiner Heimat war, um Freunde und Familie zu besuchen, dachte ich: Warum nicht?“ Gesagt, getan. Die beiden bearbeiteten einige spannende Aufträge und Wolfgang Lorenz fand Spaß an der Arbeit mit seiner Kollegin und gründete deshalb eine eigene Niederlassung. „Kurz nachdem ich mich bei der IHK als Sachverständiger gemeldet hatte, wurde ich zu einem Vortrag eingeladen, von dem in der IHK-Zeitschrift berichtet wurde. Diesen Artikel las die Frau, mit der ich als ich 20 Jahre alt war, mal für ein paar Jahre zusammen war. Sie hat mein Bild gesehen und eine E-Mail geschickt. So kamen wir ins Gespräch und dann traf man sich. Es hat sich sehr schnell gezeigt, dass die Pause – von der sie vor vielen Jahren gesprochen hatte – jetzt zu Ende ist. Deshalb habe ich meinen Schwerpunkt viel schneller als gedacht nach Coburg verlegt.“

In seinem Leben hat sich vieles ergeben, ohne dass er es vorher geplant hatte. „Ich bin nicht der typische Fachmann für chemische oder biologische Stoffe“, erzählt er. So hat er nach dem Abitur nicht Biologie oder Chemie, sondern Maschinenbau studiert und seine Diplomarbeit in der Abteilung für Werkstoffentwicklung bei BMW verfasst. Er arbeitete am Max-Planck-Institut in Düsseldorf und forschte im Bereich der Metallphysik am Elektronenmikroskop, bevor er die Ergebnisse in seiner Doktorarbeit niederschrieb. Dann ging er an das Technologiezentrum für Forschungsprojekte des Vereins Deutscher Ingenieure und befasste sich mit Lasertechnik. In seiner letzten Station als Angestellter war er technischer Leiter einer Firma, die Laborgeräte baute. „1992 habe ich mich selbstständig gemacht und Firmen in Nordrhein-Westfalen im Bereich Umwelt- und Arbeitsschutz beraten. Diesen Schritt in die Selbstständigkeit habe ich nie bereut, denn sie war und ist das einzig Wahre für mich.“ 

Schon kurze Zeit nach Gründung seines eigenen Büros rief ein Familienvater an, der sich wegen möglicher Schadstoffe in seinem Fertighaus Sorgen um seine Familie machte. Er wollte wissen, ob ihm Wolfgang Lorenz helfen könnte, da er in den Gelben Seiten als Experte für Umweltschutz eingetragen war. „Ich weiß noch genau, wie ich sagte: Ich glaube nicht, dass ich helfen kann, aber ich probiere es“, erinnert er sich. Er konnte helfen und fand großes Interesse an dem Thema Innenraumschadstoffe. Deshalb wandte er sich an einen Experten in Lübeck, der im Auftrag der AOK Wohnungen untersuchte, besuchte ihn und vereinbarte eine enge Zusammenarbeit. 

Er entwarf ein Konzept zur Schadstoffanalyse in Wohnungen und Häusern und schickte dies an einige Krankenkassen. Nach nur einem Gespräch beim Geschäftsführer der Betriebskrankenkasse in Düsseldorf bekam er einen Vertrag. Wenn ein Umweltarzt Symptome beim Patienten feststellte, die möglicherweise durch Schadstoffe in den eigenen vier Wänden verursacht wurden, bezahlten die Betriebskrankenkassen die Untersuchungen im Heim des Patienten. „Dann ging es Schlag auf Schlag. Der Erfolg meiner Arbeit hat mich selbst am meisten überrascht und war der Grund, warum sich immer mehr Betriebskrankenkassen bei mir meldeten und Verträge mit mir schlossen“, erinnert er sich. 

Sogar der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung erfuhr von den Erfolgen und schloss deshalb 1996 einen Vertrag mit Wolfgang Lorenz. Da es so viel zu tun gab, musste er Mitarbeiter einstellen und sie intensiv schulen, denn den Ausbildungsweg Innenraumschadstoffe gab und gibt es nicht. „Von 1994 bis 2008 haben wir mehr als 16.000 Wohnungen auf Schadstoffe untersucht. Damit machte ich keinen riesigen Gewinn, da es eine knapp kalkulierte pauschalierte Bezahlung war, aber wir hatten viele Aufträge. Das war ein großer Erfahrungsschatz“, blickt Lorenz zurück. 

In diesen Jahren ist Wolfgang Lorenz dem Schimmel immer genauer auf die Spur gekommen, auch wenn er zu Beginn davon ausgegangen war, dass die „böse“ Chemie die meisten Beschwerden zu Hause verursacht. Doch es zeigte sich sehr schnell, dass die meisten Fälle im Zusammenhang mit Schimmelschäden standen. „Sehr viel gelernt habe ich damals von Kollegen in Schweden. Wir hatten in Deutschland wenig Ahnung von der gesundheitlichen Wirkung und mussten lernen, dass Schimmelschäden sehr oft versteckt vorliegen und nicht nur aus Schimmelpilzen, sondern sehr oft zusätzlich aus Bakterien bestehen. Dass Schimmelpilze die Ursache für gesundheitliche Beschwerden sein könnten, hat damals noch kein Mensch ernst genommen. Sogar heute noch suchen viele Kollegen nur nach Schimmelpilzen und vergessen die Bakterien. Und leider sind viele immer noch der Meinung: Wenn man keinen Schimmel sieht, ist auch keiner da.“

In all den Jahren zeigte sich, dass Schimmelbefall ungefähr bei nur zehn bis 12 Prozent der Betroffenen allergische Reaktionen auslöst, die sich in Form von Hautreaktionen oder auch Nies- und Hustenattacken zeigen.  Die mit Abstand häufigsten Reaktionen sind entzündlicher Natur: Nasennebenhöhlenentzündungen, verstopfte Nase, Bronchitis und bei Kindern auch Infektionsanfälligkeit, da das Immunsystem durch den Schimmel so beansprucht ist, dass sie anfällig sind für normale Infektionen wie Mittelohrentzündungen und Erkältungen. Überraschend war, dass in zehn bis 15 Prozent der Fälle Betroffene über starke Gelenkschmerzen klagten und diese Beschwerden nach Sanierung der Schimmelschäden abklangen.

Wolfgang Lorenz erinnert sich noch an einen Fall, der damals einen wichtigen Anschub zur wissenschaftlichen Untersuchung des möglichen Zusammenhangs zwischen Schimmelschäden und Gelenkschmerzen gegeben hat: Ein Umweltmediziner schickte Wolfgang Lorenz zu einer jungen Familie ins Ruhrgebiet. Die Mutter und die beiden Kinder litten Zuhause unter starken Gelenkschmerzen. Wenn die Frau mit ihren Kindern für ein paar Tage für ein langes Wochenende zu ihren Eltern fuhr, ging es allen besser und im Urlaub waren die Beschwerden gänzlich verschwunden. Aber es kam wieder, sobald sie wieder Zuhause waren. Der Familienvater hatte kaum Symptome, aber er war auch sehr viel unterwegs und wenig zu Hause. Als Wolfgang Lorenz das Haus inspizierte, stellte er fest, dass im Keller alle Wände und der Boden feucht waren und mit Pilzen und Bakterien massiv besiedelt. Er riet die Tür zum Keller erst einmal abzudichten und im Keller eine Lüftung ins Freie zu montieren, damit die Kellerluft nicht mehr in die Wohnetagen strömen kann. Schon zwei Wochen nachdem seine Ratschläge umgesetzt worden waren, waren die Schmerzen bei der Mutter und ihren Kindern komplett verschwunden. 

Er wollte wissen, was die Ursache sein könnte, warum Schimmel zu Gelenkschmerzen führen könnte. „Also habe ich mich jeden Freitagnachmittag nach Feierabend mit einem befreundeten Arzt getroffen, um einzelne Fälle und wissenschaftliche Fragen zu besprechen. Einige Wochen zerbrachen wir uns die Köpfe über die möglichen Zusammenhänge zwischen Mikroorganismen und Gelenkschmerzen. Dann wurde uns klar: Wir brauchten einen Experten für Knorpelzellen“, so Lorenz. Nach langer Suche konnten sie Professor Shakibaei aus Berlin für ihre Idee gewinnen. Er züchtete im Labor Knorpelzellen und belastete diese mit Extrakten, die Wolfgang Lorenz aus „Schimmel-Wohnungen“ gewonnen hatten. Ihr Verdacht bestätigte sich: Der Knorpel wird durch das verschimmelte Material geschädigt. Bei weitergehenden Untersuchungen zeigte sich, dass nicht die Schimmelpilze mit ihren Wirkstoffen zur Schädigung führten, sondern die sogenannten Endotoxine. Dies sind giftige Stoffe, die in den Zellwänden bestimmter Bakterien zu finden sind, die wiederum bei Schimmelschäden vorkommen können. 

Wolfgang Lorenz fiel auf, dass es den Menschen immer an den Stellen weh tat, die sie am stärksten nutzten: Bei einem jungen Mann, der viel Fußball spielte, traten die Gelenkschmerzen in den Knien auf, bei einer technischen Zeichnerin in den Fingern und Schultern, bei einer Tänzerin in den Füßen. „Die Gelenke, die man viel beansprucht, werden stärker durchblutet und mit den Endotoxinen im Blut mehr belastet. Die Endotoxine reichern sich über Monate im beanspruchten Gelenk an. Irgendwann ist das Maß voll und es kommt genau an diesen Stellen zur Entzündung, der sogenannten Arthritis.“

Bisher hat niemand systematisch die Wirkstoffe beziehungsweise Toxine untersucht, die krank machen. Es gibt keine Methoden, es gibt keine Bewertungsgrundlagen. Doch das soll sich ändern, wenn es nach Wolfgang Lorenz geht. Seit 2018 arbeitet er mit dem Bundesverband Schimmelpilzsanierung, dessen Vorsitzender er ist, für das Umweltbundesamt an einem großangelegten Forschungsprojekt. Es hat gemeinsam mit Projektpartnern zum Ziel neue Messmethoden zu testen. Dafür werden insgesamt 120 Wohnungen untersucht. 

Noch streitet sich die Wissenschaft, was genau welche Symptome verursacht. Neben den Endotoxinen treten auch giftige Stoffe auf, die von bestimmten Pilzen freigesetzt werden, die sogenannte Mykotoxine. Zudem gibt es Stoffe, die nicht giftig sind, aber Entzündungen auslösen können.

Um dies herauszufinden, führt Wolfgang Lorenz Luftmessungen durch und sammelt Hausstaub. Zusätzlich wird das vom Schimmel befallene Material analysiert, um zu sehen, ob mikrobielle Giftstoffe im Hausstaub und in der Luft auch in den Materialien zu finden sind. „Wir wollen prüfen, ob wir einen Zusammenhang zwischen Symptomen und einzelnen Stoffen herstellen können: Da ist der Schimmel in der Wand, der enthält Myko- oder Endotoxine und ich finde sie auch in der Luft oder im Staub. Außerdem suchen wir gezielt nach Stoffen, die Entzündungen auslösen.“ Da Schimmelschäden häufig versteckt auftreten, kommen, neben vielen technischen Geräten auch Schimmelspürhunde zum Einsatz. Diese sind speziell auf die Geruchsstoffe von Pilzen und Bakterien trainiert und zeigen Schimmelgerüche an. „Der Hund ist dabei kein Beweis für die Größe und die Relevanz eines Schadens, aber er ist eine große Hilfe für den Gutachter, da er Hinweise bekommt, wo er nach Schimmel suchen sollte“, würdigt Lorenz die tierischen Spürnasen.

In all den Jahren, in denen Wolfgang Lorenz als Gutachter für Schimmelpilzsanierung arbeitet, hat er die feinen Näschen der tierischen Schimmelsensoren sehr zu schätzen gelernt. Auch wenn so ein Einsatz eines vom Bundesverband für Schimmelsanierung zertifizierten Schimmelspürhundes rund 400 Euro kostet, sei das die einfachste und effektivste Methode, um Schimmel zu finden: „Wenn ich als Gutachter Luftmessungen mache, ist das oft teurer als der Spürhund. Und diese Luftmessungen sagen mir noch lange nicht, wo der Schimmel versteckt ist.“ Deshalb macht sich Wolfgang Lorenz in schwierigen Fällen mit einem Hund auf Sporensuche.

Da er von den Vierbeinern sehr viel über Schimmel gelernt hat, hängt auch das Bild des Labradors Oskar in seinem Büro in Coburg an der Wand. Er war der erste Spürhund aus Schweden, der in Deutschland nach Schimmel suchte. Mit ihm machte sich damals auch Wolfgang Lorenz auf zu den ersten Wohnungsbegehungen. Das war der Beginn eines großen Kapitels deutscher Schimmelforschung.

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