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Der Aufsteiger – Jan Gorr im Portrait #39

Der Aufsteiger – Jan Gorr im Porträt

Seit 2013 trainierte er den HSC 2000 Coburg und führte den Verein in diesem Frühjahr zum zweiten Mal in die erste Handball-Bundesliga. Dann aber wird er nicht mehr an der Seitenlinie stehen. Jetzt nämlich ist er der neue Geschäftsführer des HSC 2000 Coburg. Seine Ambitionen gehen dabei über das Sportliche weit hinaus. – von Wolfram Hegen

Wir treff en uns in der HSC-Geschäft sstelle in der Seifartshofstraße in Coburg, Jan Gorr trägt eine dunkle Sporthose, eine HSC-Jacke, legeres Traineroutfi t statt Businesslook, „sie erwischen mich in einer Übergangszeit“, sagt er entschuldigend, dabei ist das doch nur allzu verständlich, nach sieben Jahren am Spielfeldrand in Coburg und kurz nach dem letzten Training mit seinen Spielern, „das war schon sehr emotional“, er nimmt die Hände hinter den Kopf, lehnt sich ein wenig zurück und macht eine kurze Pause, „das Training habe ich immer genossen, das wird mir fehlen“, an den Wänden im Besprechungsraum hängen zwei Spielerplakate vom jubelnden Dominic Kelm, vom eskalierenden Florian Billek, „zwei Identifi kationsfi guren des Coburger Handballs“, die Gorr selber über viele Jahre begleitet hat, es gibt Kaff ee, „ich trinke mindestens vier, manchmal sechs oder sieben Tassen am Tag“, sonst habe er keine anderen Süchte, „vielleicht mal ein Bierchen, wenn man gemütlich zusammensitzt“, seine ganze Hingabe gilt eben seinem Beruf, dem Handball.

Wie sollte es auch anders kommen, sein Vater war Vorsitzender des TV Hüttenberg, ein großer Name des deutschen Handballs, seine Mutter schickt ihn früh zum Mini-Handballtraining, Jans Widerstand („will aber nicht“) wird von der Mutter („doch“) schnell gebrochen. „Also bin ich zähneknirschend hin … und habe nie mehr damit aufgehört.“ Es ist wohl das, was man eine behütete Kindheit nennt im kleinen Hüttenberg im mittelhessischen Land-Dill- Kreis im elterlichen Haus mit eigenem Garten, mit einem zwei Jahre jüngeren Bruder, mit dem er sich gut versteht, und mit einem Dorfverein auf Erstliganiveau, der alle Hüttenberger stolz macht, den er später als Trainer betreut, den er in die Bundesliga zurückführt, „ich bin schon dankbar für diese Zeit.“

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Nach sieben Jahren an der Seitenlinie aber kehrt Jan Gorr seiner Heimat beruflich den Rücken: Der VfL Gummersbach macht ihm ein Angebot, er sagt zu, „das war eine richtig schwere Entscheidung damals.“ Gorr aber, der sich mittlerweile einen Namen gemacht hatte in der Branche, der kein Anfänger mehr war, zahlt zum ersten Mal in seinem Leben Lehrgeld. Der VfL Gummersbach überlegt es sich anders, hält seine vertragliche Zusage nicht ein, Jan Gorr kann sich noch an jedes Detail des Gesprächs in einem Café erinnern, so tief sitzt die Verletzung bis heute. „Das war für mich schon brutal, wir hatten viele Vorgespräche, wir haben den Vertrag gemacht, ich hatte mich auf die Saison intensiv vorbereitet, und dann so etwas, das hat schon sehr wehgetan.“

Es war wohl die Zeit, als die heile Welt die ersten Risse bekam. „Ich versuche wirklich vieles positiv zu sehen, aber nicht für alles gibt es eine rosarote Brille.“ Gorr, der immer respektvoll mit seinem Gegenüber umgeht, kein Großsprecher, eher ein vorsichtiger Beobachter und genauer Analytiker, ein sachlicher Typ, der sich immer davor hütet, „in Extremen zu leben zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt“, geht auf Distanz, weil man „gerade im Trainerjob nie weiß, was passiert“, und achtet noch mehr als vorher auf das Miteinander mit den Menschen in seinem Umfeld. Er empfiehlt das auch seinen Spielern, sich auf die Arbeit konzentrieren, auf den Gegenüber, sich weniger von Äußerlichkeiten ablenken und von Medien nicht verrückt machen zu lassen. „Ich weiß, dass nur Erfolg, dass nur eine gewisse Liga, dass nur ein großer Name nicht die entscheidenden Parameter für mich sind, sondern die Wertschätzung für das, was man tut.“

So kommt er nach einem Übergangsjahr unter anderem auch als Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft nach Coburg, obwohl der HSC damals nur in der 3. Liga spielt und er andere Angebote vorliegen hatte. „Aber ich habe in Coburg das meiste Potential gesehen, das man wecken kann, ein junger Verein mit Hunger auf Erfolg, das fand ich spannend.“ Und die Coburger werben um ihn, wollen mit einem neuen jungen Trainer einen kontinuierlichen Weg einschlagen. „Das hat menschlich schon sehr gut gepasst und tut es bis heute.“ Und er hat Erfolg, führte den HSC 2000 Coburg von der dritten Liga ganz nach oben und nach dem Abstieg wieder zurück in die stärkste Handball-Liga der Welt. Vor allem aber hat er in dieser Zeit den „Coburger Weg“ entscheidend mitgeprägt, ein Projekt, um Handball in der Region nachhaltig zu entwickeln, mit viel ganzheitlicher Jugendarbeit, mit viel gesellschaftlicher Teilhabe. Er hat dem Coburger Handball in dieser Zeit seinen Stempel aufgedrückt, wieder sieben Jahre lang als Trainer, wie in Hüttenberg. Wieder geht er nach sieben Jahren einen neuen Weg, Zufall vielleicht, vielleicht aber auch wieder genau der richtige Zeitpunkt, um etwas Neues zu wagen, das so neu nicht ist, weil er im Verein bleibt, das Angebot angenommen hat, die Geschäftsführung zu übernehmen, „das ehrt mich ungemein, mich dieser neuen Aufgabe zu stellen, das ist unentdecktes Land, das ich erforsche, ein neuer Reiz, den ich brauche.“

Und klar, wenn Jan Gorr von der Zukunft redet, redet er weniger nur vom sportlichen Erfolg der ersten Mannschaft, von den Chancen, als Underdog überhaupt in der stärksten Liga der Welt zu bestehen, vom neuen Trainer, der die Spielidee eines modernen Handballs zwar fortführen soll und junge Spieler weiterentwickeln, dem er aber nichts vorsagen wird, „da wäre ich schlecht beraten“. Jan Gorr redet eher darüber, dass man als Verein zu sehr auf dieses rein Sportliche reduziert werde. „Ich möchte, dass der HSC mit all seinen Facetten gesehen wird, der Spitzensport kann so viel mehr leisten für die gesamte Region.“ Jungen Menschen eine Perspektive bieten, Teamfähigkeit, Leistungsbereitschaft, Disziplin schulen, soziale und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, Plattform sein für Unternehmen. „Ich denke, da hat dieser junge Verein noch viel mehr Potential.“

Jetzt aber hat auch Jan Gorr erst einmal ein paar Wochen Urlaub. Der wird ihn an die Ostsee führen, weniger zum Baden oder Sonnen, sondern mehr zum Angeln, seiner zweiten großen Leidenschaft. „Die Ruhe, die Natur, aber auch die Spannung, ob der Fisch anbeißt, das macht mir schon riesigen Spaß.“ Viele seiner Trainerkollegen sind Angler, „vielleicht liegt es ja daran, dass auch Angeln viel mit einer Strategie, einer Taktik zu tun hat.“ Wie beim Handball eben auch. Und wie beim Handball hat Gorr auch zum Angeln seine Liebe in frühester Kindheit entdeckt, als er oft mit seinen Eltern im Kurpark in Bad Nauheim Spazieren gehen musste, „es gab nichts Langweiligeres.“ Also bastelte sich der achtjährige Jan aus einer Gardinenstange, einer Schnur und einer umgebogenen Haarnadel eine Angel, im Kurpark gab es ja auch ein paar Karpfenteiche, und plötzlich hing am improvisierten Sportgerät „ein schöner Bursche“, lacht Gorr, als er zurückdenkt an seine Kindheit, damals in Mittelhessen, seiner Heimat. In Coburg nämlich ist er zwar nach sieben Jahren angekommen, ein Coburger aber ist er noch nicht, „das bringt denke ich auch einfach unser Beruf mit sich.“ Und so spricht aus seinen Worten die für ihn typische respektvolle Distanz und Ernsthaftigkeit, wenn er sagt: „Ich glaube schon, dass man sich hier in Coburg zu Hause fühlen kann.“

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