Hände

Der Dank ist der größte Lohn #18

„PFLEGE IST MEHR BERUFUNG ALS BERUF“. NADINE BECKER UND KATRIN WOLLER SIND SICH EINIG. SIE SIND PFLEGEKRÄFTE AN DER DIAKONIESTATION WEITRAMSDORF- SESSLACH. IHR ANSPRUCH: BEHANDLE DIE PATIENTEN SO, WIE AUCH DU BEHANDELT WERDEN MÖCHTEST. DOCH DIESER VERPFLICHTUNG GERECHT ZU WERDEN, IST HEUTZUTAGE KAUM NOCH MÖGLICH: WENIG PERSONAL, ABER IMMER MEHR PATIENTEN.

In der Pflege trifft aufeinander, was nicht zusammenpasst. Auf der einen Seite stehen Menschen, denen das Alter die Muskeln von den Beinen frisst, den Rücken krümmt, die Hände steif werden lässt. Die oft  einsam sind und geduldige Zuwendung brauchen. Auf der anderen Seite stehen nackte Zahlen: die Minuten und Stunden im Computerprogramm. Das nervt Pflegerinnen und Patienten. Die Bürokratie und der „Kampf“ zwischen Krankenkassen, Ärzten und Pflegeeinrichtungen verschwenden Zeit. Zeit, die den Patienten fehlt, sagt Katrin Woller.

Die Sonne geht auf

Der 85-jährige Pflegebedürftige Rolf Schulz sieht das ähnlich, weiß aber auch, dass er nicht der einzige Patient ist, dass die Pflegeschwestern mehrere Patienten betreuen müssen, dass sie deshalb kurz angebunden sind. Dabei gehe für ihn die Sonne auf, wenn die Schwestern früh in sein Haus kommen, erzählt er. Auch wenn die Pflegerinnen sich nicht ewig Zeit für ihn nehmen können, ein kurzes Gespräch ist doch immer drin. Zweimal am Tag kommt eine Pflegeschwester zu Rolf Schulz und hilft  ihm dabei den Alltag zu meistern. Ob früh am Morgen beim Aufstehen aus dem Bett oder am Abend das Ausziehen der Kompressionsstrümpfe, alleine würde er das nicht mehr schaffen.

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Ohne sie geht es nicht: Nadine Becker ist täglich zu Besuch bei Rolf Scholz.

Fluch und Segen

Die Betreuungszeit für den einzelnen Patienten ist kürzer als früher. Das macht es für Pfleger und Pflegerinnen schwieriger, individuell auf Menschen einzugehen. „Natürlich hätten wir gerne mehr Zeit, aber es ist nun mal nicht möglich“, so Nadine Becker. Ursache ist der demografische Wandel, Fluch und Segen zugleich: Die Menschen werden immer älter. Damit steigt die Anzahl an Pflegebedürftigen. Für deren Pflege wiederum werden mehr Pflegekräfte benötigt. Doch Nachwuchs ist knapp: Immer weniger junge Menschen wollen eine Ausbildung in der Pflegebranche machen. Sie fürchten die hohen Belastungen. Auch Berichte in den Medien tragen ihren Teil dazu bei, so Katrin Woller. „Man hört immer nur Negatives über die Pflegeberufe. Und natürlich ist Pflege schwere Arbeit. Doch Pflege ist auf der anderen Seite mehr als nur der Umgang mit dem Tod und Körperflüssigkeiten. Die Menschen, um die man sich kümmert, danken es einem. Und so schlecht, wie immer gesagt wird, ist die Bezahlung auch nicht.“

Der digitale Helfer

Es gibt jedoch auch positive Veränderungen, die enorm hilfreich sind. Eine von ihnen ist die Digitalisierung der Patientenakten. Wo man früher noch Berge an Papier mit auf die Route nehmen musste, reicht heute ein Smartphone aus – mit allen wichtigen Patientendaten und notwendigen Leistungen. „Bei den Smartphones hat man das Wichtigste auf einen Blick und kann es abarbeiten, eine echte Erleichterung.“ Zudem gibt es Lifter für immobile Menschen, die den Transport erleichtern.

dank_ist_groessster_lohn_2_portrait_930pxLebenswege

Die beiden Pflegerinnen haben zwei unterschiedliche Vorgeschichten: Nadine Becker arbeitet seit 16 Jahren im Gesundheitswesen. Sie begann ihre Karriere mit einer Lehre zur Krankenschwester in Bamberg und arbeitet heute in der ambulanten Pflege in der Diakoniestation Weitramsdorf-Seßlach. Einen ganz anderen Weg in die Pflege fand Katrin Woller. Die 48-jährige war jahrelang im Einzelhandel beschäftigt und machte 2010 eine Umschulung zur Pflegefachkraft. Heute arbeitet Sie mit in der Bereichsleitung der Diakoniestation und ist Wundexpertin. „Meine Mutter war in der Pflege tätig, also hatte ich schon einen Einblick.“ Und auch die Arbeit am Wochenende war ihr schon aus ihrer früheren Tätigkeit bekannt. Mit einem großen Unterschied: „Es ist sinnvoller am Wochenende Menschen zu helfen als an einem verkaufsoffenen Sonntag die Leute im Laden zu bespaßen.“

Weihnachten ohne Familie

In der Diakoniestation Weitramsdorf-Seßlach wird im Zwei-Schichtsystem gearbeitet. Auch an Feiertagen wie Weihnachten. Ein Problem sehen beide darin nicht, sondern eher die Normalität. Man könne die Patienten gerade an solchen Tagen nicht sich selbst überlassen – an Weihnachten, dem Fest der Liebe und Nächstenliebe. Es gibt sogar ein besonderes Programm: Neben einer Weihnachtfeier mit Krippenspiel und Weihnachtsliedern bekommen die Pflegebedürftigen kleine Geschenke. Und wer nicht mehr mobil ist, wird von der Diakoniestation Weitramsdorf-Seßlach abgeholt oder daheim besucht. Keiner kommt zu kurz. Die Patienten danken es den Pflegerinnen. „Das merkt man ihnen an.“ Einige haben auch Mitleid mit ihren Betreuern und Betreuerinnen, weil sie arbeiten müssen statt mit ihren Familien die Feiertage zu genießen.
Das aber stört Nadine Becker und Katrin Woller überhaupt nicht, ganz im Gegenteil: Sie sind sich einig, dass sie für sich den richtigen Beruf gewählt haben. Nichts ist so viel wert die Dankbarkeit ihrer Patienten.

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Auch mit 85 Jahren noch den Schalk in den Augen: Rolf Scholz.

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Autor: Benedikt Dellert

Bildquelle: Sebastian Buff

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