Martin Luther

Sauertopf gegen Gelage #17

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500 Jahre Luthers Thesen. Was für ein Fest. Ein ganzes Jahr wird gefeiert. Auch in Coburg, mit vielen Veranstaltungen und vor allem mit einer großen Landesausstellung „Ritter, Bauern, Lutheraner“. Coburg spielt damit in einer Liga mit anderen Lutherstädten. Coburg, die Stadt, in der Luther eine Zeitlang lebte, in deren Morizkirche er predigte. Der Reformator, dessen 95 Thesen bis heute nachwirken, der viele gesellschaftliche und politische Umbrüche ausgelöst hat. Der die Kirche ohne es zu wollen geteilt hat in Katholiken und Protestanten. Doch halt, gerade die Reformierten wollen jetzt ein Jahr lang feiern? Wo man ihnen doch nachsagt, sie seien bieder, sauertöpfisch, spießig? Die Katholiken dagegen der Sünde zugeneigte vom Ablasshandel erlöste feiste Biertrinker mit einem Hang zur barocken Lebensfreude? Stimmt nicht, finden wir.

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Weih-nachten oder Wein-achten

Wohl an keinem kirchlichen Festtag könnte der Unterschied zwischen katholischen und evangelischen Regionen deutlicher zu Tage treten als an Weihnachten: Während man in katholischen Kirchen, vom Weihrauch benebelt, vom Gold geblendet, fetten Barockengeln beäugt, satten Orgelsounds und schmetternden Chören fast ertaubt die ganze überbordende kitschige Pracht der Geburt Jesu bis in die letzte Sinneszelle des Körpers implantiert bekommt, belassen es die Lutheraner schon mal bei ein paar Kerzen als Verpackung und einem durch die schmalen Lippen gepressten „O Du Fröhliche“ als akustisches Schleifchen obendrauf für das göttliche Geburtstagsgeschenk.

An katholischen Festtagen kann es gar nicht prächtig genug zugehen, alle haben im feinen Zwirn zu kommen, bei einem Rosenkranz hat man schon einmal gefühlte 2 Stunden auf den Knien zu sitzen und zu leiden, alle schwitzen und stöhnen, leiden, fühlen – im besten Falle allenfalls getröstet alleine durch den folgenden mehrstündigen Frühschoppen.

Bei evangelischen Gläubigen geht es sachlich zu, manchmal im wahrsten Sinne nüchtern und ein bisschen wie in einer therapeutischen Klinik: Schön, dass Ihr alle da seid, wir nehmen uns alle an den Händen und singen erst einmal zusammen – in der Regel dann ein „Wir sind alle Kinder einer Erde“-Lied, begleitet von der kircheneigenen Gitarrengruppe. Macht das Spaß? Oder vielleicht besser: Muss Kirche Spaß machen? Muss Glauben Spaß machen? Darf er Spaß machen? Das Leben überhaupt? Oder sollten wir lieber von großer Dankbarkeit über unser Dasein geknechtet, in Bescheidenheit verkümmert, vom schlechten Gewissen gepeinigt still vor uns hin leben, bis der Erlöser uns erlöst?
Hm, da müssen wir mal kurz überlegen … Nein, müssen wir nicht. Warum aber sagt man den Protestanten überhaupt solche Spießigkeit nach, immerhin hat die von Luther ausgelöste Reformation uns doch freier gemacht, gebildeter, demokratischer, gleicher? Das hätte sich mit der barocken auf wenige Fürsten beschränkten elitären Lebensfreude nicht vertragen, die ja auch gründlich hinweggefegt wurde. Und deren Vertreibung hat uns ja auch Demokratie und Wohlstand gebracht – durch Disziplin, Pflichtbewusstsein, Ehrlichkeit, Sparsamkeit, Verzicht und Fleiß … Ok, klingt alles ziemlich anstrengend.

Bam-berg oder Co-burg

Werfen wir doch mal einen Blick auf zwei völlig unterschiedliche Städte, die sich, welch Zufall, hier in unserer Nähe befinden.
Dort Bamberg, Sitz des katholischen Erzbischofs, Mittelpunkt des Erzbistums, überragt vom Dom, hier Coburg, ehemaliges Herzogtum, überragt von der Morizkirche, Luther zu Gast, berühmtester Sohn Albert, prüder Prinz. Alles spricht für Bamberg: das Bier, der Ablasshandel, der bei ausreichend vorhandenem Kleingeld nahezu jede Schandtat möglich macht, und natürlich die nicht zufällig entstandene Menge an Brauereien, die sicherlich auch so manchem Mönch und Priester einen lustigen Abend ermöglicht haben.

Coburg dagegen ist quasi eine lutherische Modellstadt. Bis zur Reformation dem Bistum Würzburg zugehörig, seither eine protestantische Stadt durch und durch. Vor allem Lutheraner bestimmten das Stadtbild. Klar, war doch der große Meister selbst in der Stadt, predigte in der Morizkirche und verkroch sich auf der Veste Coburg. 1910, so schreibt die Stadt Coburg selbst auf ihrer Homepage, waren fast 100% (nur nochmal zum Nachdenken: also fast jeder…) Mitglied der evangelischen Landeskirche. Und deren Boss war immer der jeweilige Herzog von Sachsen-Coburg. Noch heute ist Coburg Sitz des mit über 82000 Mitgliedern größten Dekanats in Bayern. In Bayern! (Das erklärt manch Probleme mit der katholisch dominierten – sogenannten „christsozialen“ – Dauerregierung.)

Der Fall scheint also klar – es stimmt: Die Katholiken haben es besser. Mehr Party, besseres Bier, Sünde kein Thema. Aber von wegen: Die Bamberger Sandkerwa zum Beispiel (Kerwa heißt ja – für alle Zugereisten – „Kirchweih“, das wäre doch das beste Argument für eine göttliche gepriesene Sause) leidet an Besucherschwund, weil es immer mehr Auflagen gegen nächtliche Partyexzesse gibt. Der Lärm in der Innenstadt durch große Veranstaltungen wie auf dem Maxplatz stößt immer mehr Anwohnern auf. Und viele Kneipen und Clubs machen zeitig dicht. Ob der Katholizismus das so toll findet, wenn er sich in Bambergs City immer weniger austoben kann, beziehungsweise freudlose (vermutlich zugereiste protestantische Migranten) sie zur spaßbefreiten Zone erklären wollen?

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Und Coburg dagegen? Hier zeigen die Herzogtümler den Domstädtern, wie man richtig feiert. Beim Sambafest drei Tage lang bis tief in die Nacht oder eher bis ins Morgengrauen, und vor allem richtig laut und oftmals nur leichtbekleidet, beim Schlossplatzfest gar fünf Tage lang mitten in der Stadt vorzugsweise für mittlere und ältere Generationen, die noch (oder wieder) auf der Suche nach einem lustigen (oder lustvollen) Abend sind, beim HUK-Coburg open-air-Sommer wieder mitten in der Stadt mit Dezibelzahlen, die selbst die altehrwürdige herzoglich-protestantische Ehrenburg gegenüber erzittern lassen. Und im Steinweg pulsiert das Partyleben bis zum Frühstück. Die Sperrstunde ist reine Formsache.
Vielleicht hat sich das evangelisch geprägte Coburg die Worte der Magdeburger Pfarrerin (um vom Kirchturmdenken einmal abzuschweifen) Gabriele Herbst zu Herzen genommen, die im Rundfunk sagte: „Gerechtigkeit, Frieden und Heiligkeit können sich bunt und laut gebärden. Gottes Schönheit leuchte nicht nur im Unauffälligen auf, im Verzicht, im Leisen, im eintönigen Mausgrau und Schwarz. Und ihr Glaube an ihn auch nicht.“ Na prima, Coburgs sommerliche Dauerparty ist also eigentlich ein Gottesdienst, oder? Trinken, Tanzen, Toben. Dabei haben doch die Katholiken die Fröhlichkeit für sich in Anspruch genommen, oder?

Katho – „liken“

Die Literatur und das Netz jedenfalls sind voll von „Selbstbeweihräucherungen“ überzeugter Katholiken in Sachen Lebensfreude. Florian Kolfhaus aus dem Bistum Regensburg zitiert z.B. den Satz „Das Bett eines Priesters sei leer, aber sein Kühlschrank voll.“

Katholisch zu sein, bedeute in der Tat, sinnenfroh und lebenslustig zu sein. Der konservative deutsche Journalist und Autor Matthias Matussek hat gleich ein ganzes Buch geschrieben („Das katholische Abenteuer“) und erzählt darin von seiner Kindheit. Die sei eine einzige lebenslustige Sinnfolklore gewesen. Frommer Hokuspokus und religiöse Sinnlichkeit. Auch der katholische Theologe, Autor und Kabarettist Manfred Lütz hat sich zu diesem Thema literarisch verewigt und bezeichnet die katholische Tradition als „ziemlich lebenslustig“ mit einem ganzheitlichen Ansatz der Sexualität. Selbst kirchliche Streitschriften stellten erstaunlicherweise einen Lobgesang auf die Schönheiten der Sexualität dar. Und konservative katholischen Theologen verteidigen ihre Kirche vehement gegen jeglichen Modernismus, gegen jegliche sich Luther anbiedernde Spießigkeit und ziehen als Beleg dazu keine hochtrabenden theologischen Betrachtungen, sondern wahrhafte weltliche Gründe heran wie der katholische Theologe Wilhelm Imkamp in seinem Buch „Sei kein Spießer, sei katholisch“: „Zwei Benediktinermönche, Dom Pierre Pérignon und sein Mitbruder Dom Thierry Ruinart haben den Champagner erfunden, während der oberste Bischof seiner Landeskirchen, Kaiser Wilhelm II., den Deutschen die Sektsteuer beschert hat.“

Was hat das noch mit Glauben zu tun? Viel, findet Friedrich Reusch in einem Essay in einem onlinemagazin für katholische Lebensart: Ein Antispießer sei nämlich bei aller persönlichen Überzeugung kein Mensch, der schwer im Umgang ist oder die Öffentlichkeit scheut. Die Ausrichtung des eigenen Lebens in all seinen Facetten nach Gott schaffe frohe Gesichter, ist er sich sicher. Das klingt so gar nicht nach der Selbstdisziplin, Zucht und preußischer Ordnung wie es evangelische Gläubige propagieren. Landesbischof und Ex-Coburger Heinrich Bedform-Strohm zum Beispiel tritt in einem Gespräch mit Dunja Halali für Zeit-Online für die traditionellen protestantischen Werte ein: Danke sagen, nicht alles für selbstverständlich erachten, Bescheidenheit üben, das Leben als Geschenk nehmen. Also, dann machen wir das doch. Das Leben als Geschenk nehmen in seiner ganzen Fülle und Pracht.

Und das tun die Coburger ja auch, Protestanten hin oder her. Sie feiern gerne, sie freuen sich drüber – das kann man als „Danke“ werten – und das mit der Bescheidenheit und mit der Selbstverständlichkeit, gut, das lernen wir auch noch.

Also dann fröhlich hinein ins 500jährige Jubiläum der Thesen von Martin Luther. Ein großer Vordenker, ein Revolutionär, einer, dem wir alle viel zu verdanken haben. Einer, den wir feiern sollten – auch und gerade in einer evangelischen Stadt, die gar nicht so spießig daherkommt, wie man es den Antikatholiken so gerne nachsagt.

Coburger Thesen

Der COBURGER hat sich daher dazu entschlossen, eigene Thesen der Lebensfreude aufzustellen, keine 95 aber, sondern nur fünf, und natürlich auch nicht annähernd intellektuell vergleichbar mit denen des großen Reformators, sondern eher mit Humor zu nehmen (muss man das in den heutigen politisch korrekten Zeiten dazu sagen? Wir denken ja)

  1. Zum Abendmahl gehört Wein.
  2. Die Ordnungswidrigkeit ist die säkulare Form des Ablasshandels.
  3. Kleine Sünden bestraft daher auch nicht der liebe Gott.
  4. Du sollst nicht begehren Deines nächsten Weib bleibt ein frommer Wunsch (gilt natürlich genderneutral).
  5. Oh Du Fröhliche ist ein fröhliches Lied!

(Anmerkung: Der Autor ist katholisch getauft.)

Autor: Wolfram Hegen

Bildquellen: Sebastian Buff

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