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Der Idiotentest #33

Der Idiotentest – Wenn Autofahrer zur Untersuchung müssen

von Chris Winter

Auf den ersten Blick war gar nichts passiert. Auch auf den zweiten Blick offenbarte sich kein Schaden an der Oberklasse-Limousine – es war also eigentlich nichts geschehen, nur ein harm- und folgenloser „Anrempler“ beim Rangieren. Tatsächlich aber zog die Unachtsamkeit eine Werkstattrechnung von rund 1500 Euro nach sich, eine über diesem Betrag liegende Geldstrafe, eine Anklage und Verurteilung wegen Fahrerflucht, und der Führerschein war schließlich für einen Monat eingezogen. Mit einer rund 40-jährigen Fahrpraxis und einem Verhalten im Straßenverkehr, das bislang nie Anlass zu Bußgeldern oder Verwarnungen gab, sah sich der Fahrer aus dem Landkreis Coburg als Angeklagter vor dem Amtsgericht und zeitweise als Fußgänger und Radler.

Es war in der dunklen und kalten Jahreszeit, als der Mann in einem Parkhaus auf einen Stellplatz rangierte. Die Gedanken waren nicht ganz bei der Sache, die Parkboxen in einer Zeit gebaut, als es die Abkürzung SUV noch lange nicht gab. Nur ein leises Geräusch kündete von dem Kontakt mit der Limousine. „Zweimal habe ich geschaut, aber nichts erkannt“, erzählt der Mann, und dabei macht sich Monate später immer noch ein sachte aufkommender Ärger über das eigene Verhalten bemerkbar. Der Fehler mit den weitreichenden Konsequenzen war: Der Fahrer ging von dannen. Er hinterließ keine Nachricht an dem touchierten Wagen, wartete keine angemessene Zeit am Unfallort und die Polizei blieb auch außen vor. Wenn da nicht die Überwachungskamera den Vorgang aufgezeichnet hätte.

Einige Stunden später fand der Fahrer einen Zettel unter einen Scheibenwischer geklemmt: Der Geschädigte hatte darauf seine Kontaktdaten notiert und mitgeteilt, die Sache bei der Polizei angezeigt zu haben. „Selbstverständlich bin ich sofort zu dem Besitzer des Autos.“ Es gab kein Abstreiten, der Sachverhalt wurde ohne Vorbehalt eingeräumt und dazu eine Entschuldigung, gepaart mit der später auch eingehaltenen Zusicherung, den Schaden zu begleichen. Zu spät: Die Unfallflucht war nun bei der Polizei bekannt und so setzten sich Räder der Justiz in Bewegung. Zunächst sollte der Mann aus dem Landkreis ein viertel Jahr zu Fuß gehen müssen, nach einem Einspruch jedoch und mit Hilfe eines Anwalts wurde die Zeit ohne Fahrerlaubnis auf vier Wochen verringert.

Bei dieser Unfallflucht waren kein Alkohol noch andere Drogen im Spiel, auch keine vorhergegangenen Auffälligkeiten im Straßenverkehr, so dass nach den vier Wochen ohne Führerschein die Welt wieder in Ordnung war. Eine sogenannte MPU wurde nicht angeordnet.

Die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) beurteilt in Deutschland die Fahreignung des Antragstellers. Im Volksmund mit dem herabsetzenden Begriff „Idiotentest“ belegt, heißt sie im Amtsdeutsch „Begutachtung der Fahreignung.“ Die MPU gibt es seit 1954 in Deutschland. Sie stellt eine Prognose zur Verkehrsbewährung des Antragstellers und dient als Hilfe für Fahrerlaubnisbehörden, die Entscheidung über die Entziehung und Neuerteilung der Fahrerlaubnis vorzubereiten. Die gesetzlichen Maßnahmen sind ein wichtiges Element zur Verbesserung der Verkehrssicherheit (weniger Unfallopfer – Getötete und Verletzte), womit Deutschland auch im europäischen Vergleich erfolgreich ist. Im europäischen Ausland sind anstelle fachlich begründeter Einzelfallprüfungen häufig erhebliche Strafen bei schwerwiegenden Verkehrsstraftaten oder gehäuften Verstößen üblich. Die Höhe der Strafe steht jedoch in keinem nachweisbaren Zusammenhang mit dem zukünftigen Unfallrisiko. Bedeutsam sind dagegen eine offene Auseinandersetzung mit den Ursachen und stabile Änderungen in Einstellung und Verhalten.

Bundesweit ist die Zahl der angeordneten Medizinisch- Psychologischen Untersuchungen in den zurückliegenden Jahren rückläufig. Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat im August vergangenen Jahres Statistiken für die MPU herausgebracht. 2017 wurden insgesamt 88.035 medizinisch-psychologische Untersuchungen durchgeführt. Vergleicht man die Zahlen seit 2014, ist der Trend dabei leicht sinkend. Der Wert für das Jahr 2017 sank unter die 90.000-er Marke.

Der Zweckverband Zulassungsstelle Coburg als zuständige Dienststelle wartet mit diesen Zahlen für Stadt und Landkreis auf: 185-mal wurde 2017 eine MPU angeordnet, 202 Führerscheine wurde entzogen. 2018 stehen 193 MPU zu Buche und 177-mal „kassierte“ die Führerscheinstelle das begehrte und wichtige Dokument. In den ersten vier Monaten des laufenden Jahres mussten schon 75 Fahrer zum medizinisch- psychologischen Test geschickt und 64 Fahrerlaubnisse entzogen werden. Die meisten MPU werden wegen erstmaligen Auffälligkeiten in Zusammenhang mit Alkohol durchgeführt. Es folgen Drogen und andere Medikamente, unter deren Einfluss sich Leute verbotenerweise hinter das Steuer ihres Wagens setzen.

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Insgesamt wurden 58,7 Prozent der Teilnehmer einer MPU anschließend als fahrgeeignet eingestuft, 5,1 Prozent als nachschulungsfähig und 36,2 Prozent als ungeeignet. Auffällig ist, dass die Personen, die wegen wiederholten Auffälligkeiten durch Alkohol zur MPU mussten, nur zu 46,5 Prozent als geeignet eingestuft wurden. Aus den vorherigen Statistiken wird ein Abwärtstrend bei den Alkoholfragestellungen ersichtlich, ebenso auch bei der Kombination aus Verkehrsauffälligkeit und sonstiger strafrechtlicher Auffälligkeit. Die Anzahl der Begutachtungen aufgrund von Medikamentenauffälligkeit steigt jedoch.

Nach den Erkenntnissen von Geschäftsleiter Stephan Zingler vom Zweckverband Zulassungsstelle Coburg ist eine ausreichende Vorbereitung bei Verkehrspsychologen wichtig, um eine MPU erfolgreich hinter sich zu bringen. „Untersuchungen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zeigen, dass über 80 Prozent auf Anhieb die MPU bestehen, wenn sie sich frühzeitig informieren und eine professionelle Beratung in Anspruch nehmen.“ Eine Fahrschule werde nur benötigt, wenn der beim Kraftfahrt-Bundesamt eingetragene Entzug länger als zehn Jahre zurück liegt. Die Fahrschulen unterstützen die Betroffenen hinsichtlich der abzuleistenden theoretischen und praktischen Prüfung, jedoch aber nicht bei der Vorbereitung auf die medizinisch-psychologische Untersuchung.

Dabei gehe jeder Betroffene anders mit der Situation um. Viele seien einsichtig und könnten die Entscheidungen der Behörde nachvollziehen. Einige versuchten jedoch Tatsachen zu verschweigen oder zu verdrehen. „Dies wird dann spätestens bei der medizinisch-psychologischen Untersuchung zum Problem und führt häufig zu einem negativen Ergebnis.“ In der Zeit ohne Führerschein ist die selbstständige Mobilität natürlich nicht mehr gegeben. Stephan Zingler: „Mit dem Entzug des Führerscheins geht ein Stück Unabhängigkeit verloren. In einigen Fällen ist der Entzug des Führerscheins jedoch auch der Punkt, der zum Umdenken anregt und den Betroffenen erst deutlich macht, dass sie in ihrem Leben etwas ändern müssen.“ Der Autofahrer aus dem Landkreis Coburg jedenfalls hat eine Lehre verinnerlicht: „Egal ob eine Beule zu sehen ist oder nicht, immer die Polizei verständigen.“

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