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HIER WOHNTEN… #26

… Jüdische Schüler

Hoch über der Stadt mit Fernblick. Auf einem 7000 Quadratmeter großen parkähnlichen Grundstück mit herrschaftlicher Auffahrt. Eine Villa aus Sandstein mit Gauben, Türmchen und Fahnenstange hinter einem schwerem schmiedeeiserne Gartentor. Es sollte die Welt draußen halten. Sicherheit geben vor Anfeindungen und Pöbeleien. Aber es half ihm nicht, dem jüdischen Prediger Hermann Hirsch. Die Angst in der Villa in der Hohen Straße wohnte immer mit.

Frühzeitig begann der Prediger der jüdischen Kultusgemeinde, sich um das Wohl derjenigen auswärtigen Schüler zu kümmern, die in Coburg eine höhere Schule besuchen wollten. Die damals schon braune Stadtverwaltung betrachtete das Treiben in der Hohen Straße von Anfang an argwöhnisch. Immer wieder machte sie Eingaben und gängelte den Schulleiter, wo sie konnte. Einmal störte man sich an den behelfsmäßigen Unterrichtsräumen. Das andere Mal an den zu knapp bemessenen Schlafräumen. Willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen folgten.

Hermann Hirsch hielt dem andauernden Druck äußerlich stand. Aber man kann sich vorstellen, wie ihn und seine Familie, die selbst mit in der Villa wohnte, diese Situation belastete. Schließlich sah er sich gezwungen, seine Töchter ins europäische Ausland zu schicken, nachdem auch sie an den Coburger Gymnasien immer wieder Anfeindungen ausgesetzt waren. Die Familie reißt auseinander und trifft sich erst Jahre später wieder in Palästina zum Neuanfang. Aber Hermann Hirsch war ein gebrochener Mann. Nach mehreren Sanatoriumsaufenthalten stirbt er 1942 letztendlich an einer Lungenentzündung. Den Verlust der Heimat hatte er nie verwunden. Der in Hanau geborene Prediger hatte einen Traum und die Villa bot ihm auf drei Etagen genug Platz, um ihn zu verwirklichen. Zuerst diente das Gebäude als Internat und entwickelte sich in den zwanziger Jahren zu einer der angesehensten privaten jüdischen Erziehungsanstalten im Deutschen Reich. In der Schulsatzung steht ausdrücklich, dass die Kinder auf ihre Auswanderung nach Palästina vorbereitet werden sollten. Bemerkenswert. Hirsch wusste frühzeitig, dass sein Volk in Deutschland keine Zukunft hatte. Entsprechend abwechslungsreich gestaltete sich so ein Schulvormittag in der Hohen Straße. Großer Wert wurde auf die praktischen Fertigkeiten gelegt.

Traditionell beschäftigten sich die jüdischen Bürger eher im kaufmännischen Bereich. Aber für den Aufbau eines jüdischen Staates in Palästina wurden Handwerker gebraucht. Und so wurde auf der Terrasse hinter dem Haus im Freien geschreinert, gezimmert und gemalert. Und auch die körperliche Ertüchtigung nahm viel Raum ein. Weil die Schüler vom Unterricht an den städtischen Sportstätten ausgeschlossen waren, musste sich Hirsch auch hier wieder behelfen und legte im Park einen kleinen Spielplatz an. Im Winter diente die Eingangshalle als Turnhalle und aus Platzmangel später sogar als Betsaal.

Schließlich stiegen die Schülerzahlen derart sprunghaft an, dass im Jahre 1933 noch das Nachbargebäude in der Hohen Straße 16 angemietet werden musste. Ab diesem Zeitpunkt waren in der Villa nur noch die Schlafräume der Schüler untergebracht. Unterrichtet wurde im Haus nebenan. Noch heute existiert die steinerne Verbindungstreppe, welche die Kinder durch den Park nahmen, um in ihre Schule zu kommen. Die Reichskristallnacht beendet den Traum von einer freien, modernen jüdischen Schule in Coburg jäh. Hirsch wurde verhaftet und die Schüler selbst wurden gezwungen, die Scheiben der Schule einzuschlagen. Der Betsaal wurde von SA-Leuten kaputt geschlagen und die Schule buchstäblich abgewickelt. Alles war am Boden zerstört. Nicht nur das Mobiliar. Auch Hirsch, der seiner Heimat 1939 den Rücken kehrt und mit seiner Frau Bertha nach Palästina auswandert, um sich einer neuen Aufgabe, der Leitung eines Landschulheimes bei Haifa zu widmen.

Behutsam haben die heutigen Besitzer dieses geschichtsträchtige Anwesen zu neuem Ansehen gebracht. Über vier Jahre lang wurde hier im Park und im Haus gearbeitet, um die reich dekorierte Villa im Stile des Historismus‘ zu neuem Leben zu erwecken und gleichzeitig für die jetzigen Besitzer neu zu interpretieren. Viele Details des 1874 erbauten Hauses wurden restauriert. So musste ein Handwerker gefunden werden, der die zweieinhalb Meter lange Turmspitze aus Zinkbleck nacharbeiten und wieder aufsetzen konnte. In Dresden wurde man schließlich fündig. Ein Statiker fand heraus, dass das Dach sich langsam aber kontinuierlich neigt. Hier musste aus Gründen des Denkmalschutzes eine nicht sichtbares Skelettkonstruktion Abhilfe schaffen. Auf der Suche nach historischen Pflastersteinen wurde der Besitzer in Düsseldorf fündig. Dort hatte man für das abgetretene, Patina angesetzte Pflaster des alten Bahnhofes keine Verwendung mehr.

Jetzt fassen diese die geschwungene Auffahrt in Coburg auf ehrwürdige Weise ein. Auch das schmiedeeiserne Tor wurde erneuert. Hier war der Torantrieb das Problem aufgrund der tonnen- schweren Last, die dieser zu tragen hatte. Spezialisten aus Italien hatten schließlich die Lösung. Zwar bleibt die Welt damit auch heute noch draußen vor dem Tor. Aber die Luftigkeit ist zurück gekehrt in die Hohe Straße 30. Innen wie außen.

Häuser, die mit Unterstützung der Gemeinschaft Stadtbild Coburg e.V. saniert worden sind – der COBURGER stellt sie vor: 2018 in jeder Ausgabe des COBURGER eines in unserer Reihe „Hier wohnte“.

von Heidi Schulz-Scheidt
Fotos: Sebastian Buff

    2 Rückmeldungen

    1. E.deck

      Beneidenswert, wer in diesem schönen Haus wohnen darf. So wunderbar restauriert und großzügig möbliert. Rundum gelungen.

    2. Rolf Metzner

      In diesem Haus war von 1938 bis 1942 auch das Vorarbeitenamt für den Bau des Main-Werra-Kanals untergebracht.
      Die Einrichtung dieses neuen Vorarbeitenamtes war in der Coburger Kanaltagung von 1938 beschlossen worden.

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