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SONDERTHEMA Sicherheit: Der Geist ist aus der Flasche #27

Im Namen der Sicherheit

„Deutschland ist schön, seine Landschaften typisch, die Bauwerke weltberühmt. Man legt Wert auf gepflegte Gastlichkeit, und ist stolz auf seine Spezialitäten“, lobt ein Werbespot aus den 1980er Jahren heimische Gefilde. Wohl kaum ein Spot gibt die Gefühlslage der bürgerlichen Mitte dieser Zeit besser wieder als die damalige Werbung für ein bayerisches Weißbier. Heimelig war es, gemütlich, geborgen, sicher. Zumindest fühlte es sich so an. Dabei war doch seit Mitte der 1970er die polizeilich registrierte Kriminalität stark angestiegen. Und in Bayern auch – bis zum Höhepunkt 1991.

Doch Gefühl ist das eine, Fakten sind das andere. So hatten laut Institut Allensbach 2016 über zwei Drittel der Menschen den Eindruck, dass die Kriminalität zunimmt, vier von fünf befürchteten zudem eine weitere Zunahme durch Flücht-linge. Fakten aber sprechen eine andere Sprache: Die Ergebnisse der Bayerischen Kriminalitätsstatistik des Bayerischen Innenministeriums 2017 sind eindeutig: Niedrigste Fallzahlen seit 1991, niedrigste Kriminalitätsbelastung seit 30 Jahren, Steigerung der Aufklärungsquote auf 64,4%. „Insgesamt lässt sich die erheblich gewachsene Beunruhigung mit der faktischen Entwicklung der Kriminalität nur teilweise erklären“, schreibt dazu das Institut Allensbach.

Es ist wohl eher so, dass das gefühlte heimelige Postkartenidyll der 1980er innerhalb von nur einer Generation einer globalen temporeichen digitalisierten Welt weichen musste, die kaum mehr Halt zu bieten scheint. Nichts ist mehr wie es war. Ein Teil der Bevölkerung muss sich fühlen wie in einem Mehrfrontenkrieg gegen Digitalisierung, Globalisierung, Umweltverschmutzung, Flüchtlingsströme, Werteverfall. Die Wut richtet sich gegen „den Staat“, der einem das eingebrockt habe, der Deutschland verscherble, die Kultur verrate. Es ist vor allem die Wut einer tendenziell älteren und ländlichen Bevölkerung, die sich abgehängt fühlt von einer durch junge urbane gutausgebildete Eliten vorwärtsgetriebene Veränderung. Diese Wut gilt es ernst zu nehmen.

„Die wachsende Besorgnis verändert das Verhalten und die Erwartungen an die Politik“ beschreibt das Institut Allensbach den aktuellen Zustand. Wie also reagiert „der Staat“, wie reagieren handelnde und sich in verantwortlichen Positionen befindliche Personen? Sie sagen „Wir haben verstanden“. Nein, sie haben nicht verstanden. Sie haben nicht verstanden, wie man kulturelle Veränderung gestaltet. Sie wollen nicht zwischen den vermeintlich Zurückgelassenen und den Vorwärtsgewandten moderieren, alle mitnehmen, Komplexität erklären, auch oder gerade weil es mühsam ist, sehr mühsam, und auch oft unpopulär. Ja, sie haben verstanden. Sie haben verstanden, wie man sich selbst in Sicherheit bringt. Sie präsentieren einfache Lösungen für Probleme, die es de facto nicht gibt, gehen so – vermeintlich – auf Stimmenfang, lenken von den wahren Zukunftsthemen ab, deren für viele aber furchteinflößende Dynamik es ja aber eben zu steuern gilt. Das ist schäbig, rückwärtsgewandt, reaktionär.

Die neue Fassung des „PAG“, des Polizeiaufgabengesetzes in Bayern, das zum 25. Mai 2018 (vorerst mal) in Kraft getreten ist, ist so ein Beispiel. Warum enthält es erweiterte Befugnisse für die Polizei, obwohl wir doch nach deren eigenen Auskunft statistisch die niedrigste Kriminalitätsbelastung seit 30 Jahren haben? Warum ein neues PAG, wenn der bayerische Innenminister selbst schon vor dem 25. Mai angesichts des schon bis dahin „effektivsten Polizeirechts in ganz Deutschland“ ins Schwärmen geriet? Warum wurde es noch vor dem Sommer mit aller Härte und kaum Kompromissbereitschaft durchgepeitscht? Warum wurde ein Dialog über das Gesetz angeboten, wenn es, weil beschlossen – außer vor Gericht – eh nicht mehr zu ändern ist? Warum also das unbestritten weitest gehende Polizeigesetz seit 1945, wo wir doch wirklich wichtigere Themen haben?

Nur um ein Gefühl zu bedienen: die „diffuse Angst der Deutschen“, wie sie Soziologen und Leitartikler gerne nennen. Wenn da eine Regierung Stärke zeigt, sich nicht beirren lässt, ein Gesetz im Namen ihrer Bürger durchsetzt, weil sie das in Bayern kraft ihrer absoluten Mehrheit kann, dann möchte sie damit das Gefühl der Geborgenheit, der Sicherheit vermitteln, das vielen allen Statistiken zum Trotz abhandengekommen ist. Dann möchte sie damit Vertrauen zurückgewinnen, das verloren scheint. Dann möchte sie damit Angriffe von rechts abwehren und Wahlen gewinnen. Deswegen „Wir haben verstanden“. Nein, so billig geht’s nicht.

Der Preis nämlich ist hoch: Freiheitsrechte des Bürgers, Grundrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte gegen den Staat werden – offiziell im Namen der Terrorismusbekämpfung – seit Jahren in kleinen fast unmerklichen Schritten geopfert. Die Gerichte werden zwar zu entscheiden haben, ob der bayerische Schritt dieses Mal zu groß war, der Geist aber ist schon seit einiger Zeit aus der Flasche. Er treibt munter sein Unwesen, redet mehr von Sicherheit als von Freiheit, schafft Gesetze, wo es keine braucht, baut Zäune, errichtet Mauern, stellt Kameras auf und verbreitet schon mit der bloßen Anwesenheit von angeblich im Namen der Sicherheit notwendigen Anlagen und Einrichtungen das Gefühl der Bedrohung, das ihn überhaupt erst aus der Flasche gelassen hat. Dabei war es doch selten sicherer als heute. Aber es fühlt sich halt anders an. Ganz anders eben als noch vor einer Generation. Weil die Welt sich schnell verändert hat, vielleicht zu schnell. Mehr aber ist nicht passiert, aber eben auch nicht weniger. Also gibt es viel nachzuholen: Diese Veränderung gestalten, sie in positive Energie verwandeln, Lust machen auf Zukunft. Und nicht Angst verbreiten. Hört auf damit.

von Wolfram Hegen

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