Sondertthema Veränderung – Interview mit Professor Dr. Christian Zagel #49

Die Welt im Umbruch? Wer sind wir morgen? Wie leben wir in 20 Jahren? Wie wollen wir leben?

Ein Gespräch mit Professor Dr. Christian Zagel, Masterstudiengang ZukunftsDesign an der Hochschule Coburg

COBURGER: Herr Professor Zagel, die Coronapandemie hat uns eiskalt erwischt. Sie hat uns vor allem auch unsere Defizite vor Augen geführt. Was können wir aus der Krise lernen?

Professor Zagel: Es ist ja nicht die erste Pandemie. Wir hatten zum Beispiel von 1918 bis 1920 die spanische Grippe. Diese Pandemie hat uns vorwiegend gezeigt, dass wir sehr abhängig sind. Das hat man am Anfang der Pandemie gesehen, als wir Masken in China bestellen mussten. Das sieht man jetzt an den unglaublich gestiegenen Frachtkosten. Ich selbst bin auch im Onlinehandel tätig und tausche mich öfters mit Handelsunternehmen aus. Die Kosten für einen Seefrachtcontainer von China nach Deutschland beispielsweise lagen im Jahr 2019 um die 2.000 Euro bis 3.000 Euro und sind jetzt bei 17. 000 bis 18.000 Euro. Und wenn es jetzt wieder einen Lockdown gäbe, wäre man bezüglich der Importe, Exporte noch weiter eingeschränkt.

COBURGER: Wie wird diese Pandemie unser Leben verändern?

Professor Zagel: Die Veränderung wird ganz unterschiedliche Facetten betreffen: Man wird sich wieder sehr viel mehr auf die Regionalität fokussieren und die Produktion wieder zurückverlagern, innerhalb der Grenzen Europas, vielleicht sogar innerhalb Deutschlands. Dieser extreme Boom in Richtung Homeoffice wird bleiben. Das betrifft auch die konservativen Unternehmen, die sich früher eher dagegen gewehrt haben, weil sie befürchtet haben, dass die Leute im Homeoffice weniger arbeiten. Jetzt stellen sie halt fest, dass es funktioniert. Es werden neue Arbeitsmodelle entstehen, hin zu individuell gestaltbaren Arbeitszeiten. Man spricht heute vom „work life blending“, das bedeutet, dass man die Arbeitszeit und die Freizeit nicht mehr strikt trennt. Das hat natürlich viel Diskussionspotential, insbesondere in Bezug auf das Arbeitsrecht.

Wir werden weniger geschäftlich reisen, weil wir gemerkt haben, dass man gewisse Sachen einfach auch per Onlinekonferenz abwickeln kann. Das spart Geld, das spart Lebenszeit und ist dazu auch noch gut für die Umwelt. Internet und Heizung verbrauchen zwar auch im Homeoffice Strom, aber selbst, wenn es am Ende für die Umwelt auf null aufgeht, ist das trotzdem eine Änderung in der Lebensweise und in der Arbeitsweise, die wiederum Einfluss
auf andere Bereiche des Lebens hat. Ich denke, dass die Leute das Leben auf dem Land wieder mehr zu schätzen wissen. Es gab einen Trend, der nennt sich Urbanisierung, also, dass die Menschen vom Land in die Stadt ziehen. In der Pandemie haben die Leute gemerkt: Es ist irgendwie doof, wenn ich in Nürnberg in meiner 30 oder 50 Quadratmeter Wohnung sitze, keinen Garten und vielleicht nicht einmal einen Balkon habe und ein halbes Jahr allein in meiner Wohnung sitze. Und Homeoffice wird auch schwierig, wenn kein Arbeitszimmer vorhanden ist, weil man sich eine große Wohnung nicht leisten kann.

COBURGER: Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt definitiv, aber kommen da alle Schichten der Arbeitnehmer mit? Was geschieht mit den Menschen, die heute noch am Fließband stehen?

Professor Zagel: Die Veränderung der Arbeitswelt ist eine natürliche Entwicklung, die gab es auch früher schon. Vor 100 Jahren sind die Leute mit dem Pflug und dem Pferd auf dem Acker gewesen und haben Angst bekommen, als der erste Traktor kam, der die Arbeit von zehn Ackergäulen gemacht hat. Die Arbeit hat sich daraufhin verlagert, auf dem Feld ist Arbeitskraft weggefallen, dafür sind in den Fabriken zum Bau der Traktoren Arbeitsplätze geschaffen worden.

COBURGER: Unsere Arbeitswelt und auch unser Lifestyle werden sich demnach verändern. Wird es auch neue Ernährungsformen geben?

Professor Zagel: Wir bemerken doch jetzt schon einen Wandel. Seit Kurzem sind in der EU Insekten als Lebensmittel deklariert. Ich bin der absoluten Überzeugung, dass das auch bei uns innerhalb der nächsten 20, 30 Jahre relativ normal sein wird. Weil wir uns das gar nicht mehr leisten können, jeden Tag ein Stück Rind oder ein Schweineschnitzel zu essen. Und global gesehen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir in einigen Jahren weniger Menschen weltweit haben, relativ gering. Ich schätze eher, dass die Weltbevölkerung noch weiter stark steigen wird. Da muss man sich Gedanken machen, wie man die Menschen ernährt. Es gibt Statistiken, die zeigen, dass man aus einem Kilo Getreide ein halbes Kilo Insekten machen kann, aber aus einem Kilo Getreide nur 50 Gramm Rindfleisch. Aber auch Produkte aus alternativen Quellen, beispielsweise aus Algen werden vermehrt auf den Markt kommen.

COBURGER: Die Nachfrage nach veganen oder regionalen Produkten wird zunehmen?

Professor Zagel: Die Leute legen deutlich mehr Wert auf qualitative Ernährung, sie achten immer mehr darauf, woher die Lebensmittel kommen und wie sie hergestellt werden. In Supermärkten werden bereits jetzt mehr regionale Produkte angeboten, das wird in Zukunft noch zunehmen.

COBURGER: Das würde uns auch unabhängiger machen …

Professor Zagel: Wir können fast alles auch hier produzieren und das ist genau das Thema mit der Rückbesinnung. Erst gab es den Tante-Emma-Laden, und wir haben gewusst, dass die Kartoffeln und das Hähnchen vom Bauern nebenan kommen, der Fisch vom Angler um die Ecke. Dann kam irgendwann diese „Geiz ist geil“ Thematik. Das hat aber dann dazu geführt, dass Deutschland die günstigsten Lebensmittelpreise überhaupt hat. Jetzt geht es wieder stärker in Richtung Qualität. Das sieht man sehr stark an Unternehmen wie Aldi oder EDEKA.

COBURGER: Aber die qualitativ hochwertigen Lebensmittel haben ihren Preis und sind nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung wirklich erschwinglich. Familien mit geringen Einkommen können sich diese Produkte oft gar nicht leisten?

Professor Zagel: Es gibt den Begriff der „first mover“, diejenigen, die als Erstes etwas Neues adaptieren. Das sind tatsächlich oft diejenigen, die das entsprechende Geld haben. Die setzen letztlich eine Bewegung in Gang und damit verändern sich Dinge auch für die große Masse. Wenn ein Produkt nachgefragt wird, dann belebt das die Konkurrenz und dadurch wird es am Ende günstiger. Man sieht ja heute bereits, dass teilweise Bioprodukte schon relativ nah an den Preisen sind von normalen Produkten.

COBURGER: Was meinen Sie, wie werden wir in 20 Jahren in Coburg leben?

Professor Zagel: Die Leute werden weiterhin viele Sachen online kaufen, weil es bequem ist. Stellen Sie sich vor, Sie bummeln durch die Stadt, besuchen einen Showroom, suchen die Kleidung aus und bekommen die Sachen nach Hause geliefert, eine schöne Kombination aus traditionellem Einkaufen und dem Onlineerlebnis. Ähnlich wie bei Lebensmitteln, die mit Rezepten fertig abgepackt ins Haus kommen. Ich bin auch überzeugt davon, dass dieser ländliche Aspekt wieder attraktiver wird. Die Leute gehen zwar zum Studieren in Großstädte, aber kommen zurück in die ländliche Region, wenn sie einen attraktiven Job finden. Unternehmen werden nicht mehr darauf angewiesen sein, ihren Sitz in einer Großstadt zu haben. Man wird sich überlegen, ob man in Berlin für ein 30 Quadratmeter großes Büro für 800 Euro Miete zahlt oder in Coburg für 800 Euro ein ganzes Haus bekommt.

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