Zwischen Schulheften und Wickeltisch #56

Von Gabi Arnold | Fotos: Franz Mäffert

Franziska hat die 11. Klasse des Gymnasiums Albertinums beendet. In zwei Jahren wird sie ihr Abitur ablegen. Danach möchte sie studieren, am liebsten Gesang, in verschiedenen Städten, genau weiß sie es noch nicht. Das muss sie auch nicht, denn sie ist jung und die Welt steht ihr offen. Aber es kommt anders als geplant.

FRÜHE SCHWANGERSCHAFT

Sommer 2004: Franziska und ihr Freund Andreas möchten die Ferien genießen, aber es gelingt nicht, denn Franziska fühlt sich nicht gut. Ständige Übelkeit plagt sie und sie vermutet, dass sie schwanger ist. Als der Test tatsächlich ein positives Ergebnis anzeigt, ist sie geschockt. Nach der Bestätigung durch einen Frauenarzt bricht für die Schülerin eine Welt zusammen. „Plötzlich war alles leer, alle Pläne waren weg.“ Die Gedanken überschlagen sich: „Wie soll das finanziell gehen? Wer soll auf das Kind aufpassen? Unsere Eltern sind berufstätig. Ich will im September wieder in die Schule gehen. Es geht nicht.“

Franziska ist 17 Jahre alt, ihr drei Jahre älterer Freund Andreas arbeitet in der Poststelle der HUK-Coburg. Das Geld ist knapp, Franziska sieht mit Kind keine Perspektive. Sie möchte auf keinen Fall mittellos dastehen, ohne Ausbildung, aber mit Kind. Nachdem der erste Schock verdaut ist, wendet sich das Paar an eine Schwangerschaftsberatung. „Die Atmosphäre war entspannt, das Gespräch verlief nicht in die eine oder andere Richtung“, erzählt sie. Stattdessen werden Franziska und Andreas auch über finanziellen Hilfen aufgeklärt, für den Fall, dass sie das Kind behalten. Jetzt geht es Franziska besser.

Auf dem Heimweg, beide spazieren durch den Hofgarten, sagt Andreas den entscheidenden Satz: „Du möchtest aber nicht, dass wir das Kind nicht behalten.“ In diesem Moment erkennt Franziska, dass ein Schwangerschaftsabbruch für ihren Freund kein Thema ist. „Ich habe gedacht, wenn er sagt, dass wir das hinbekommen, dann werden wir das schaffen.“ Die beiden entscheiden sich für das Kind, holen sich Hilfe und Unterstützung. Es beginnt eine spannende, aber auch anstrengende Zeit. Die Sommerferien verstreichen, das neue Schuljahr beginnt. Für Franziska ist es eine besondere Zeit. Wie immer fährt sie wochentags mit dem Zug von Sonneberg nach Coburg und zurück. Und doch ist jetzt alles anders.

„Ich war plötzlich eine erwachsene Frau mit Baby im Bauch, aber ich war es auch nicht. Es war eine sehr schwierige Phase.“ Überlegungen kreisen ihr unentwegt durch den Kopf. Fest steht, dass sie trotz Schwangerschaft ihren Weg gehen möchte, und zwar so normal wie möglich. Sie ist extrem ehrgeizig, lernt für Klausuren, meldet sich in der Fahrschule annund gewinnt bei „Jugend musiziert“ im Gesang. Sie drückt bis zum 8. März die Schulbank, der Mutterschutz beginnt und am 1. April 2005 kommt Tochter Clara zur Welt. Nach der Geburt bleibt Franziska sechs Wochen zu Hause, um sich ihrer Tochter zu widmen und nebenbei zu lernen – den Schulstoff bringen ihr Mitschülerinnen nach Hause. Ab Mitte Juni besucht sie wieder die Schule.

Franziskas Alltag unterscheidet sich komplett von dem ihrer Mitschülerinnen. An Party, Feiern, Ausgehen denkt die junge Mutter gar nicht. Sie stillt, pumpt ein halbes Jahr lang Muttermilch in der Schultoilette ab und kühlt diese, damit die Omas das Baby versorgen können, wenn Franziska in der Schule ist.

Nach dem Abitur vor den Traualtar

Die kleine Familie wohnt jetzt bei Papa Andreas in Rossach in der Gemeinde Großheirath. Wenn Franziska morgens zur Schule fährt, schläft ihr Baby noch, die Großmutter passt auf. Mittags nach dem Unterricht kümmert sich die junge Mutter um ihr Kind, stillt es, wickelt es, tröstet, kuschelt und nebenbei büffelt sie für das Abitur. Andreas hilft immer mit und unterstützt tatkräftig. Das „Abi“ in der Tasche, heiraten Franziska und Andreas noch im selben Jahr. Die Schwangerschaft, die Geburt des Kindes, das Abitur, die Hochzeit, die Zeit verfliegt. „Alles ging so schnell, ich war wie in einem Hamsterrad gefangen“, erinnert sie sich. Als Franziska versucht, zur Ruhe zu kommen, fällt sie in ein Loch. Es geht der jungen Mutter nicht gut, sie leidet unter Verlustängsten. Sie fürchtet krank zu werden und sie traut sich nicht mehr, Auto zu fahren. Die Erinnerungen an ihre Kindheit steigen hoch, werden plötzlich präsent und bedrohlich. Zu den belasteten Erlebnissen zählt der frühe Tod ihrer Tante, die mit 28 Jahren gestorben ist und zwei kleine Kinder hinterlassen hat.

Hinzu kommt, dass sich Franziska während ihrer Schulzeit und Schwangerschaft nicht um einen Ausbildungsplatz oder Studienplatz kümmern konnte. Sie möchte arbeiten und am Nachmittag für ihre Familie da sein. Aber mit Abitur gilt sie als überqualifiziert. Schließlich entscheidet sie sich für ein Studium im Grundschullehramt mit dem Schwerpunkt Musik. Für die Familie war von Anfang an klar, dass Clara nicht allein aufwachsen soll. Während des Studiums wird Franziska zum zweiten Mal schwanger, dieses Mal gewollt. Paul wird drei Jahre nach Claras Geburt im April 2008 geboren. Franziska besucht jetzt regelmäßig eine Psychotherapie, um ihre Ängste in den Griff zu bekommen. Die junge Familie schafft es, Kinder, Studium und Job unter einen Hut zu bringen.

Das gelingt vor allem auch, weil alle in der Familie zusammenhalten. Das liegt nun 18 Jahre zurück, Franziska ist immer noch mit ihrer großen und einzigen Liebe Andreas zusammen. Sie haben sich in einem alten Fachwerkhaus in Rossach ein gemütliches Zuhause eingerichtet. Beide verbindet die Musik, wie Singen oder Orgelspielen. Franziska unterrichtet an einer Grundschule, während Andreas in seinem erlernten Beruf als Straßenwärter tätig ist. Die Kinder Clara und Paul sind inzwischen 18 und 15 Jahre alt. Paul ist Schüler der Realschule CO 2, während Clara wie ihre Mutter das Albertinum besucht. „Es gibt noch Lehrer, die mich Franziska nennen und mit meiner Mutter verwechseln“, lacht Clara. Es komme oft vor, dass Mutter und Tochter für dieselbe Person oder für Schwestern gehalten werden.

Im Rückblick scheinen sich Franziska und Andreas Lorenz selbst zu wundern, wie sie damals alles geschafft haben. Andreas sagt: „Im Nachhinein betrachtet, war das schon krass, wir waren sehr risikobereit.“ Aber, obwohl es nicht immer einfach war, steht für das Ehepaar fest: „Kinder sind das Schönste, was es gibt und das, was man zurückbekommt, ist es wert, den Weg zu gehen.“ Alles sei zu schaffen, wenn man es wolle und Hilfen in Anspruch nehme.

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